Vorgeschichte, Gründung, Aufbau und Entwicklung der TU Graz im Zeitstrahl

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Erste Etappe: Vom Beginn des Unterrichts bis zum Tod des Erzherzogs

Seltsamerweise sind die ersten Jahrzehnte des Unterrichts der wissenschaftshistorisch am besten dokumentierte Zeitraum in der Geschichte der Technischen Universität Graz. Dies hat vielleicht wesentlich damit zu tun, dass der Erzherzog selbst gegen Ende seines Lebens noch die Niederschrift aller wichtigen Umstände der Gründung und Entwicklung des Joanneums bei seinem persönlichen Sekretär, der auch Professor am Joanneum und später auch Studiendirektor war, als Vorbereitung für eine 50-Jahr-Feier in Auftrag gegeben und dafür seine gesamten persönlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt hat.

Obwohl Johann am 12. Mai 1859 starb, publizierte Georg Göth in Erfüllung von Johanns Auftrag im Herbst 1861 seine über 300seitige „geschichtlich dargestellte Erinnerung“ über die ersten Jahrzehnte des Joanneums, in der unter anderem die Entwicklung der einzelnen Lehrkanzeln im Detail nachgelesen werden kann.

Der Start des Unterrichts am Joanneum erfolgte demnach am 23. November 1812 durch Dr. Lorenz Edler von Vest, zuvor Professor für theoretische und praktische Medizin am Lyzeum in Klagenfurt, der bereits am 22. Jänner 1812 mit allerhöchster Entschließung (= durch den erforderlichen Rechtsakt des Kaisers) als erster Professor für Botanik und Chemie am Joanneum ernannt worden war. Die Finanzierung erfolgte wie vereinbart durch die steirischen Stände.

Gleichzeitig begannen im Herbst 1812 Vorlesungen aus Mineralogie durch Prof. Friedrich Mohs, der zu dieser Zeit schon sehr bekannt war und bereits seit 1811 für den Erzherzog mit der Aufstellung der Mineraliensammlung beschäftigt war und dazu auch bereits öffentliche Vorträge gehalten hatte. Johann finanzierte diese Professorenstelle aus eigenen Mitteln bis 1824, also über 12 Jahre.

Neben den beiden angestellten Professoren von Vest und Mohs wurden die Professoren des Lyzeums Johann Philipp Neumann mit Vorlesungen aus Astronomie und Franz Jeschowsky mit Vorlesungen aus Technologie beauftragt. Sie erfüllten diese „Lehraufträge“ als beamtete Professoren des Lyzeums in einem Hörsaal am Lyzeum (= am Sitz der heutigen „Alten Universität“ in der Hofgasse) gegen eine jährliche Remuneration.

Die Unterrichtssprache aller Vorlesungen am Joanneum war grundsätzlich Deutsch. Dies und der Umstand, dass einige Vorlesungen immer an Sonn- und Feiertagen stattfanden, sorgte für ein zahlreiches Auditorium – für die erste Vorlesung am 23. November 1812 sind allein 86 Zuhörer belegt, der erste Jahresbericht nennt über 100 regelmäßige Hörer für alle Vorlesungen zusammen – und unter den Hörern befanden sich auch zahlreiche Persönlichkeiten der Grazer Gesellschaft.

Ab 1818 wurden auch Vorlesungen über Zoologie abgehalten, die allein 60 bis 100 zusätzliche Hörer bewirkten.

Die Entwicklung der ersten Jahre ist von dem Versuch geprägt, neben der Befriedigung des Interesses der Öffentlichkeit und der Berufstätigen am Joanneum auch eine Verpflichtenderklärung bestimmter Vorlesungen für die Studierenden des Lyzeums zu erreichen und so eine gewisse dauernde Existenzberechtigung  sicher zu stellen.

Dies führte 1825 zur Übertragung einer Lehrkanzel für Landwirtschaftslehre vom Lyzeum an das Joanneum. Naturgemäß wurde dadurch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Lyzeum und Joanneum virulent. Johann verfolgte hier eine gewisse Doppelstrategie: Das Joanneum sollte einerseits eine Ergänzung für das Lyzeum in den naturwissenschaftlichen Fächern sein, sich andererseits aber diesem gegenüber selbständig zu einem regionalen „Polytechnikum“ nach Prager Vorbild, also einer Schule für alle Arten der Technik, entwickeln.

Dies wurde über eine doppelte „Flurbereinigung“ in inhaltlicher und formaler Hinsicht wie folgt erreicht: Inhaltlich wurden die Lehraufträge an die Professoren des Lyzeums für Technologie und Astronomie  aufgelassen, an ihrer Stelle wurde 1827 ein eigener Professor auf eine neue Lehrkanzel für technisch-praktische Mathematik berufen. In formaler Hinsicht unterstützte Johann gleichzeitig die Aufwertung des Lyzeums und damit Wiedererrichtung einer Grazer Universität und die Ernennung eines eigenen Studiendirektors des Joanneums als Garant für dessen Unabhängigkeit von der Universität – beides wurde ebenfalls 1827 genehmigt und realisiert.

Am Joanneum wurde am 26. Dezember 1827 Ludwig Crophius Edler von Kaiserssieg, der Abt von Stift Rein bei Graz, erster (ehrenamtlicher) Studiendirektor. Die ständig steigende Arbeit erforderte 1846 die Schaffung eines (besoldeten) Vize—Studiendirektors. Diesem Amt wurde vom Professor für Mineralogie Ludwig Haltmayer bekleidet.

Als Folge der Revolution von 1848 wurden die Studiendirektionen an den Universitäten abgeschafft und die Leitung der Studienangelegenheiten den Fakultäten übertragen. Am Joanneum in Graz bot Ludwig Crophius zwar dem Erzherzog seinen Rücktritt an, blieb aber - allerdings mit eingeschränkten Kompetenzen – bis kurz vor seinem Tod 1861 im Amt. Sein Nachfolger bis 1865 wurde Georg Göth, erst danach wechselte man auf das neue System eines vom Lehrkörper gewählten Direktors. Ab 1872 hieß der Direktor dann Rektor und ab 1907 durfte er den Titel „Magnifizenz“ tragen.

Die ersten Aufgaben der Studiendirektion waren 1827 die Einführung einer geordneten, den damaligen allgemeinen Vorschriften entsprechenden „Studierendenverwaltung“ vom Katalogwesen (= „Inskription“) bis zur Umsetzung der neu eingeführten Verpflichtung, Prüfungen abzulegen, und deren Dokumentation in Form von Zeugnissen.In einem 20jährigen Prozess von 1827 bis 1847 konnte der eigentliche Zweck dieser Einordnung in das staatliche Vorschriftenwesen erreicht werden, nämlich den Status der ausgestellten Zeugnisse sukzessive von reinen Privatzeugnissen auf vollgültige Zertifikate zu steigern, die vom Prager und Wiener Polytechnikum, den Vorläufern der dortigen Technischen Universitäten, als gleichwertig anerkannt werden mussten, was ab 1847 der Fall war.

Eine weitere Aufgabe der Studiendirektion bestand – gemeinsam mit dem Kuratorium und dem Erzherzog – im Ausbau des Unterrichts durch Erweiterung der Anzahl der Lehrkanzeln.

Die 1827 geschaffene Lehrkanzel für technisch-praktische Mathematik wurde dabei zusammen mit der bereits bestehenden Lehrkanzel für Botanik und Chemie zur Keimzelle des wissenschaftlich-technischen Unterrichts am Joanneum.

Durch Teilung, Abspaltung und Neuerrichtung entstanden in den etwas über 30 Jahren bis zum Tod des Erzherzogs folgende neue Lehrkanzeln: Elementar-Mathematik (1840), höhere Mathematik und praktische Geometrie (1840, geteilt 1857), darstellende Geometrie (1854), Physik (1843 durch Abspaltung von der Chemie, besetzt mit einem berufenen Professor erst 1855), Botanik (1830 durch Abspaltung von der Chemie), Baukunde (1846, wurde später zur Keimzelle aller Bauingenieur-Lehrkanzeln).

Eine Sonderentwicklung nahm die Lehrkanzel für Berg- und Hüttenkunde. Dieses Fach hatte den Erzherzog schon bald nach der Gründung des Joanneums beschäftigt, insbesondere nach seiner Reise nach England. Bereits 1816 lag die Genehmigung des Kaisers zur Errichtung einer Lehrkanzel vor, jedoch konnte zunächst keine geeignete Person gefunden werden, sodass sich die tatsächliche Einrichtung in das Jahr 1829 verzögerte und diese wegen eines Einspruches des Oberbergamtes Leoben erst 1835 mit der Berufung des ersten Professors Peter Tunner abgeschlossen werden konnte.

Die Revolution von 1848 führte unter anderem dazu, dass die damals im ungarischen Reichsteil liegende Bergakademie Schemnitz, die bis zu dieser Zeit die Ausbildung der meisten Bergbau-Fachleute der ganzen Monarchie durchgeführt hatte, für deutschsprachige Studierende nicht mehr zur Verfügung stand. Die Regierung in Wien überlegte daher die Einrichtung einer Bergakademie auf österreichischem Boden. Peter Tunner schlug mit Zustimmung Johanns vor, die Vordernberger Bergschule als Ort für diese Bergakademie dem Staat zu übergeben. Das zuständige Ministerium für öffentliche Arbeiten reagierte sofort positiv und bereits am 21. September 1848 wurde in Vordernberg eine provisorische montanistische Lehranstalt als Anstalt des Staates eröffnet.

Der Zustrom war so groß, dass es in Vordernberg Schwierigkeiten gab, alle Studierenden unterzubringen. Daher bot die Stadt Leoben ein altes Gebäude der Jesuiten zur kostenlosen Nutzung an, worauf durch allerhöchste Entschließung vom 23. Jänner 1849 die Montanistische Lehranstalt in Leoben, die Vorgängerin der heutigen Montanuniversität, endgültig eingerichtet wurde. Die Studierenden aus Vordernberg übersiedelten im Herbst 1849 nach Leoben, damit war die Abtrennung der Berg- und Hüttenkunde vom Joanneum vollzogen.

Wolfgang Wallner