Vorgeschichte, Gründung, Aufbau und Entwicklung der TU Graz im Zeitstrahl

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Siebente Etappe: Umsturz, Zerstörung und Wiederaufbau

Mit der Machtergreifung Hitlers in Österreich begann die Umsetzung reichsdeutscher Gepflogenheiten im Hochschulbereich. Im März 1938 wurden zunächst zwei bisherige Professoren ihrer Ämter enthoben – weniger als an anderen österreichischen Hochschulen. Neben den jüdischen wurden auch sämtliche katholische Studentenvereine und –verbindungen aufgelöst. Die (wenigen) jüdischen Studierenden konnten ihr Studium nicht fortsetzen. Für Studierende und Lehrende wurden neue politisch konforme Standesvertretungen geschaffen, die Leitung der Hochschule wurde dem Rektor nach dem Führerprinzip, nach dem er gleichzeitig auch Führer der Parteiorganisation an der Hochschule war, übertragen.

Der 1930 verschobene Ausbau der elektrotechnischen Lehrkanzeln wurde jetzt in Angriff genommen. Gleichzeitig traten 1940 reichseinheitliche Studienpläne in Kraft, die als Neuheit u.a. ein verpflichtendes dreimonatiges Praktikum in der ersten Studienhälfte vorsahen. Als Konsequenz der übergeordnet vereinheitlichten Planung wurde das Studium des Vermessungswesens eingeschränkt, eine Maßnahme, die nach 1945 wieder rückgängig gemacht wurde. 1941 trat eine neue Fakultätengliederung mit erstmals nur mehr drei Fakultäten für Bauwesen, für Maschinenwesen und für Naturwissenschaften und Ergänzungsfächer in Kraft – eine Konstruktion, die ab 1955 wieder aufgegriffen wurde.

Alle weiteren Maßnahmen waren vom beginnenden Weltkrieg dominiert. Die Hochschulen blieben ab Kriegsbeginn im September 1939 für einige Monate geschlossen, wurden Anfang 1940 in Trimester-Einteilung wieder geöffnet. 1941 wurde wieder auf Semester umgestellt. Die Studierenden und auch die jüngeren Lehrenden mussten immer häufiger zum Kriegsdienst. Einige der Lehrenden der Technischen Hochschule bekleideten höchste politische Ämter im Land.

Seit 1941 war die Technische Hochschule offizieller staatlicher Rüstungsbetrieb. Insbesondere die Institute der Fakultät für Maschinenwesen in der Neuen Technik waren mit kriegswichtigen Forschungsaufgaben betraut. Diese Arbeiten wurden ab Sommer 1943 durch zunehmende Luftangriffe behindert, die schließlich am 1. November 1944 zu einem Volltreffer auf den Mitteltrakt der Neuen Technik führten. Die Institute und deren Ausrüstung wurden daraufhin großteils an sichere Orte verlagert, wobei bei der Wahl dieser Orte zum Teil schon bestimmte Überlegungen für die Zeit nach dem Krieg eine Rolle spielten.

Im Ausnahmejahr 1945 hatte die Technische Hochschule insgesamt 5 Rektoren. Nach Kriegsende wurde Graz als letzte österreichische Landeshauptstadt am 9. Mai besetzt, und zwar von der Sowjetischen Roten Armee. Noch im Mai ordnete die provisorische Landesregierung an, dass der Unterricht für das Sommersemester sofort zu beginnen habe. Hintergrund dieser Maßnahme war es auch, dass man bei den Besatzern den Eindruck vermeiden wollte, der Charakter als Hochschule sei gegenüber den stattgefundenen Aktivitäten in der Rüstungsforschung nur zweitrangig gewesen. Der praktische Neustart des Studienbetriebs war mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden: Die Professoren mussten per Radio zur Rückkehr an die Hochschule aufgefordert werden, was einige, die den Verlagerungsort ihres Institutes in der nunmehr amerikanischen Besatzungszone in der Obersteiermark gewählt hatten, zunächst nicht wirklich überzeugen konnte.

Nach der vertragsgemäßen Übergabe der Steiermark an die Britische Besatzungsmacht im Juli 1945 verbesserte sich die Situation. Ab Herbst 1945 strömten die aus dem Kriegsdienst zurückgekehrten Studierenden in großer Zahl an die Hochschule, dort starteten zu dieser Zeit jedoch beim Lehrpersonal politische Säuberungen, die den Unterricht erschwerten. Außerdem waren alle ab 1938 getroffenen Maßnahmen zunächst rechtlich wieder zurückzunehmen.

Einige Professoren der Hochschule waren zu Kriegsende untergetaucht oder geflüchtet, im Zuge der sogenannten Entnazifizierung wurde ab 1946 eine Anzahl an Lehrenden ihrer Ämter enthoben, dafür wurden in größerem Ausmaß andere Professoren und Dozenten neu berufen. Dieser Prozess dauerte bis etwa 1950. In dieser Zeit wurde das Studium des Vermessungswesens wieder, das Vollstudium der Elektrotechnik und die Studien des Papier- und Zellstoffwesens und des Wirtschaftsingenieurwesens neu eingerichtet.

Bis 1952/53 trat eine gewisse Normalisierung ein: Die Kriegsteilnehmer hatten ihre Studien abgeschlossen, der Bombenschaden an der Neuen Technik war beseitigt, man besann sich wieder auf alte akademische Traditionen. In einer akademischen Feier im November 1952 wurde das erste Goldene Doktordiplom an der Technischen Hochschule verliehen, der Absolventenverband feierte zeitgleich sein 65-jähriges Bestehen. Gleichzeitig wurden für die ehemaligen Sympathisanten des Dritten Reiches auf politischer Ebene wieder Strukturen zugelassen. Zwei Jahre später verließ der erste Doktor sub auspiciis praesidentis die Technische Hochschule. Damit begann das nun folgende jahrzehntelange Schweigen der Technik zu Geschichte und Gesellschaft – ein technokratisches Zeitalter nahm seinen Lauf.

Wolfgang Wallner