Die Größen der Technik

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Joseph Ressel

Ob ihn nun tatsächlich ein Korkenzieher bei einem gemütlichen Abendessen mit Freunden auf die zündende Idee gebracht hat, oder er bereits als 19Jähriger ein entsprechendes Modell gezeichnet hat, welches im Technischen Museum in Wien aufliegt, darüber streiten sich die Geister. Aber das Ergebnis ist: Josef Ressel erfindet die Schiffsschraube, eine Antriebsart, die bis heute verwendet wird.
Der Forstwirt wider Willen
Josef Ressel wird am 29. Juni 1793 in der ostböhmischen Kleinstadt Chrudim geboren. Der deutsche Vater Anton Hermann Ressel ist Mauteinnehmer und erst kürzlich mit seiner tschechischen Frau Anna Maria Konviczki aus Heinersdorf in Friedland zugereist. Josef geht in Linz ins Gynmasium und ist dann Zögling des Bombardiercorps in Budweis. 1812 studiert er an der Universität Wien technische, naturwissenschaftliche und landwirtschaftliche Fächer (das polytechnische Institut als Vorläufer der TU Wien wird erst 1815 gegründet), muss aber aus finanziellen Gründen das Studium abbrechen. Mit einem Stipendium gelingt es ihm, unter großen Entbehrungen an der Forstakademie in Mariabrunn bei Wien 1816 eine Ausbildung abschließen. Statt als Techniker zu arbeiten, tritt er 1817 als Distriktsförster in Pletriach/Pleterje (Unterkrain) in den Staatsdienst und macht in seiner Freizeit auf der Gurk/Krka in der Gegend des Zisterzienserklosters Landstrass/Kostanjevica erste Versuche mit einer handgetriebenen Schiffsschraube.

Josef Ressel ist Zeit seines Lebens Förster im Brotberuf. Dieser führt ihn in verschiedenen mittleren Beamtenpositionen als Vizewaldmeister, Marinewaldagent  und Unterintendant nach Laibach, Triest, Venedig und Motovun (Istrien). Er kartiert als erster die Wälder von Görz/Gorizia und Flitsch/Bovec, führt auf der Insel Krk/Veglia erste Wiederbewaldungsversuche mit Eichen durch und hat Pläne für die Kolonisierung und Trockenlegung des versumpften Flussdeltas der Narenta/Neretva (unter Mostar). Die Aufgabe eines Marineforstintendanten ist, Holz für den Schiffsbau der österreichischen Flotte in den Wäldern auszusuchen, die Vorräte zu berechnen und für die fristgerechte Lieferung der richtigen Hölzer zu sorgen. Ressel fällt seinen Vorgesetzten unangenehm durch unausgesetzte Verbesserungsvorschläge zu den Messinstrumenten, den Berechnungsformeln und den Wegenetzen auf.

Aber es scheint so, als sei er ein Getriebener und könne nicht anders als sich ständig Verbesserungen auszudenken. Einige seiner zahlreichen Erfindungen reicht er zur Patentierung ein. Es sind so unterschiedliche Themen  wie eine Wein- und Ölpresse, ein Apparat zum Extrahieren vegetabiler Färbestoffe, ein Lager ohne Reibung und Schmiere (ein Kugellager-Vorläufer), ein Dampfwagen zur Beförderung von Personen und Gütern, ein stufenlos verstellbarer Pflug, eine pneumatische Briefrohrpost zwischen Wien und Triest und ein Vorläufer der heutigen Aufzüge in Bergwerken. Außerdem publiziert er unter anderem über die Verwendung von Eisen im Schiffsbau, die Konservierung von Schiffshölzern oder die von Lederschuhwerk, die Geschichte der Marinewälder oder die Nutzung der Wasserkraft. Mit seinem Jahresgehalt von 800 Gulden ist Ressel zwar nicht zu schlecht bezahlt, aber die Patente sind auch teuer, und so wird der Vater von zehn Kindern aus zwei Ehen zwar satt, aber nicht reich.
Die Idee mit der archimedischen Schraube
Mit besonderem Elan verfolgt er die Idee, Dampfschiffe nicht über die damals üblichen Schaufelräder, sondern mithilfe einer archimedischen Schraube anzutreiben. Ressel ist zu dieser Zeit in den Küstenwäldern der oberen Adria beschäftigt und muss immer wieder zwischen Venedig und Triest den Linienraddampfer Carolina II des englischen Geschäftsmanns William Morgan in Anspruch nehmen, was 19 Stunden Lärm und Dreck bedeutet. Leider hat Morgan das Monopol auf diese Linie.
Die Radschaufeln eines Raddampfers drehen sich mehr Zeit über als unter Wasser (noch verstärkt, weil das Schiff aufgrund des Kohlenverbrauchs immer mehr an Tiefgang verliert, je länger die Reise dauert), und wenn sie eintauchen, bewegen sie das Schiff zunächst nach oben; nur ein Sechstel des Schaufelradkreises bewirkt einen Vortrieb, und dies auch nur bei spiegelglatter See. Sobald sie etwas rauer wird, drehen sich die Räder noch mehr in der Luft. Mit einer archimedischen Schraube, vorne am Schiff angebracht, würde der Wirkungsgrad um ein Mehrfaches gesteigert werden.

Wie aber kommt der Fortwirt Ressel zu einem Schiff, um seine auf dem Reissbrett entstandene Erfindung auch tatsächlich zu testen? Er versucht mehrere Fachleute für seine Idee zu begeistern, die sich aber sehr zurückhaltend geben, und findet schlussendlich zwei Triester Kaufleute, die ihm ihre Barke zu Testzwecken zur Verfügung stellen und bereit sind, die 45 cm messende Schraube aus einer Bronzelegierung zu finanzieren.

Am 11. Februar 1827 wird Josef Ressel  das Privileg Nr. 746 für eine „Schraube ohne Ende zur Fortbewegung der Schiffe“ für die Dauer von zwei Jahren überlassen. Der Geschäftsmann Carlo d´Ottavia Fontana will ein richtiges Passagierschraubendampfschiff finanzieren, wenn Ressel ihm das Patent überträgt, und dieser ist einverstanden. Die beiden drucken einen Aufruf zur Gründung einer Gesellschaft zum Betrieb von Dampfschiffen mit Schraubenantrieb,  was Ressel beruflich in Teufels Küche bringt, denn er, der Staatsbeamte, hat verabsäumt, diesen Aufruf der Zensurstelle vorzulegen. Er wird scharf gerügt, und die Hofkammer erlässt ein Dekret, das ihm untersagt, die Linie Venedig-Triest zu betreiben, weil dieses Privileg William Morgan innehat.

Ressel kann das nicht auf sich sitzen lassen: Sein Finanzier wird ihm abspringen, und außerdem hat er Schulden wegen der medizinischen Versorgung seiner ersten Frau Jakobine, die kürzlich an Tuberkulose verstorben ist und ihn mit drei kleinen Kindern zurücklässt, von denen die kleinste Tochter bald darauf auch noch stirbt. Er braucht das Geld, das sich mit einer Schifffahrtslinie verdienen lässt.

Also reist Ressel nach Wien zum Leiter der Hofkanzlei Graf Saurau, um ihn dazu zu bringen, das Dekret wieder aufzuheben, indem er darstellt, dass das Privileg Morgans sich nur auf Raddampfer bezieht, nicht jedoch auf Schraubendampfer. Saurau ist einverstanden, stellt aber die Bedingung, dass die Dampfmaschine, die zu der Unternehmung Schraubendampfer benötigt wird, ein österreichisches Produkt sein muss – wir befinden uns mitten in der metternich´schen Biedermeierzeit, wo ausländische Produkte nicht gern gesehen werden. Ressel hätte eine englische Dampfmaschine vorgezogen, in der jahrzehntelange Erfahrung steckt.
Die Civetta

Auf dem 500 Schilling-Schein von 1966 ist auf der Verso-Seite die Civetta mit der Schiffsschraube zu sehen.
Wieder in Triest, geht es voll Elan an den Bau des Versuchsschiffs Civetta, 20 m lang und 30.000 Gulden teuer. Weil der Dampfantrieb mit nur 6 PS vorgesehen ist und Ressel das für untermotorisiert hält, bekommt das Schiff sicherheitshalber auch zwei Masten, damit es im Zweifelsfall noch als Küstensegler eingesetzt werden kann. Das Schraubenrad misst diesmal anderthalb Meter im Durchmesser und besteht aus einer Kupferlegierung. Neu ist die Postition der Schraube: War Ressel anfangs davon überzeugt, dass sie vorne am sinnvollsten ist, wird sie jetzt zwischen Ruderblatt und Achtersteven angebracht, weil ein vorne angebrachter Propeller den Gegenstrom für den Schiffsrumpf verstärkt, mit einem hintenstehenden jedoch die Wirkung des Ruders steigert. So ist es bis heute geblieben.

Alles ist fertig, nur die Lieferung der Dampfmaschine aus dem Werk des Barons Baldacci in der Steiermark steht noch aus. Es ist kein Zufall, dass die Wahl Sauraus gerade auf diesen Herrn gefallen ist: Anton Franz Freiherr von Baldacci war 1813 – 1815 als Armeeminister für die Heeresverpflegung zuständig und damit direkt am glücklichen Ausgang der Koalitionskriege für Österreich beteiligt. Seit 1810 besitzt er gemeinsam mit Johann Graf Festetic den Wallischhammer am Krumbach in St. Oswald bei Eibiswald. Außerdem ist er äußert kaisertreu.

Während man also auf die Dampfmaschine wartet, fährt Ressel nach Paris, um seine Erfindung französischen Geschäftsleuten zu präsentieren, in der Hoffnung, das Patent auch im Ausland zu Geld zu machen. Die Geschäftsleute wollen auch gleich die Pläne haben, die ihnen Ressel blauäugig und mit Freude übergibt, doch vertraut er dem französischen Agenten Louis Bauer zu sehr, und so wird eine fast identische Zeichnung wie die von Ressel wenig später in London zum Patent angemeldet. Zwar wird in diesen Papieren auf einen ausländischen Ideengeber verwiesen, jedoch ohne ihn beim Namen zu nennen – und ohne ihn dafür zu entlohnen.

Daheim in Triest wird endlich die steirische Dampfmaschine geliefert und benötigt weitere drei Monate für den Einbau mit diversen Probefahrten, wo sie mehrfach Gebrechen zeigt. Aber im Oktober 1829 ist es dann endlich so weit: die Civetta geht auf Jungfernfahrt. 40 Honoratioren der Stadt werden eingeladen, und alles geht prächtig, bis schon nach 10 Minuten eine Dampfleitung platzt und das Schiff hilflos in der Bucht liegenbleibt. Der Financier Fontana will daraufhin nichts mehr von der Sache wissen und zieht sich aus dem Geschäft zurück, ist aber immer noch Patenthalter. „Behalten Sie Ihren Vertrag und ich mein Geld“, soll er gesagt haben, woraufhin der kleine Beamte Josef Ressel einen Prozess gegen den großen Geschäftsmann anstrengt, der sich über dessen Tod hinaus zieht und mit einem Vergleich endet, mit dessen Kompensationszahlung Ressel gerade mal die Prozesskosten decken kann.
Vorläufer und Weiterentwicklungen
Bereits seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wird immer wieder versucht, die Fortschritte der Dampfmaschine auch für die Seefahrt zu nutzen. Frühere Ideen eines Schraubenantriebs werden aber entweder nicht umgesetzt, oder die Praktikabilität krankt daran, dass die Schrauben, analog zum Schaufelrad, seitlich am Schiff befestigt sind. Einzig der amerikanische Ingenieur Robert Fulton placiert die Schiffsschraube seines handbetriebenen Unterseeboots richtig, bemüht sich jedoch vergeblich, es der französischen Regierung zu verkaufen.

Die Unterbrechung der archimedischen Schraube in einzelne Schaufeln geht auf den Briten Francis Pettit Smith zurück.
Inzwischen baut ein englischer Farmer namens Francis Pettit Smith einen Schiffsantrieb mit archimedischer Schraube, die jedoch bei einem Unfall zu Bruch geht. Interessanterweise fährt das Schiff mit den Bruchteilen noch schneller, was ihn auf die Idee bringt, die Schraube auf ihre einzelnen Flügel zu reduzieren. Praktisch gleichzeitig reicht der schwedische Ingenieur John Ericsson bei der amerikanischen Regierung ein ähnliches Patent ein, und so wird auf beiden Seiten des Atlantiks an Schraubendampfschiffen gebaut.

Als große Neuerung, ja fast als Wunder wird das erste propellergetriebene Transatlantikschiff aus Eisen von dem britischen Ingenieur Isambard Kingdom Brunel betrachtet, das 1843 in Bristol vom Stapel läuft. Auch Josef Ressel macht sich wieder an die Verbesserung seiner Erfindung: Ein lenkbarer Propeller würde noch viel effektiver sein – Jahrzehnte später wird dieser Gedanke zum sogenannten Pod-Antrieb führen, einem an einer drehbaren Gondel angebrachten Propeller.
1845 setzt sich der Propeller endgültig gegen den Radantrieb durch: Bei einer Vergleichsfahrt in England werden zwei gleich starke Schiffe am Heck miteinander verbunden, und es ist dem schraubengetriebenen ein Leichtes, das schaufelradgetriebene rückwärts abzuschleppen.
Tod ohne Anerkennung
1852 erfährt Josef Ressel aus der Zeitung, dass die britische Admiralität einen Preis von 20.000 Pfund ausgelobt hat für denjenigen, der beweisen kann, als erster ein Dampfschiff erfolgreich mit einer archimedischen Schraube betrieben zu haben. Ressel schickt sofort alle seine Unterlagen nach England und hört – nichts. Nach jahrelangen Nachfragen auch auf diplomatischem Parkett wird verlautbart, dass die Unterlagen wohl verloren gegangen sein müssen, und außerdem habe man den Preis ohnehin bereits vor längerem unter englischen Erfindern aufgeteilt. Eine dieser Nachfragen wurde von Erzherzog Maximilian getätigt, dem späteren glücklosen Kaiser von Mexiko, der Ressel in seiner Eigenschaft als Forstmann für die Gartengestaltung seines Schlosses Miramar bei Triest zu Rate gezogen hat.

Josef Ressel stirbt ohne Ruhm auf einer Dienstreise nahe Laibach/Ljubljana am 9. oder 10. Oktober 1857 im Gasthof „Bayrischer Hof“, vermutlich an Typhus. Wahrscheinlich ins Reich der Legenden verwiesen werden muss die Geschichte, dass man in der erstarrten Hand des Toten einen schmalen Streifen Papiers mit seinem letzten Willen fand: Seine Hinterblieben mögen dafür sorgen, dass sein Erstrecht an der Schiffsschraube anerkannt würde, „dass der Propeller ein Österreicher sei.“

Sucht man nach Zeugnissen seines Schaffens, so wende man sich am besten ans Technische Museum in Ljubljana, die ihn als einen der ihren betrachten und ihm ein hohes Andenken bewahren.