Nischler Gernot

Dipl.-Ing. Dr.techn.Foto Nischler Gernot 

Forum Technik und Gesellschaft Förderpreisträger 2014
Kategorie Dissertationen
2. Preis

Titel
Zukunftsorientierte elektrizitätswirtschaftliche Netzentwicklung
Kurzfassung
Zu Beginn der 30er Jahre entstand der Gedanke eines Verbundnetzes mit dem Zweck die Kraftwerksreserve zu minimieren, sich bei Bedarf gegenseitig zu unterstützen und die optimale Nutzung der Energieressourcen herbeizuführen. Heute sind neben der Gewährleistung einer sicheren Stromversorgung der zunehmende Stromhandel und die Integration erneuerbarer Energien die Kernfelder des Verbundnetzes. Aktuell vollzieht sich ein Paradigmenwechsel von einem vorwiegend bedarfsgerechten und -nahen Erzeugungssystem hin zu einem dargebotsabhängigen, lastfernen System. Dieser erfordert für eine robuste Netzentwicklung eine fundierte elektrizitätswirtschaftliche Planung mit langfristigem Horizont. Der planerische Ansatz erfordert gesamtsystemische Planungsinstrumente, wie das Modell ATLANTIS. Der Transportbedarf kann künftig durch neue steuerbare Netztechnologien effizient bedient werden. Ziel der Arbeit ist es, derartige Netzelemente auch in der elektrizitätswirtschaftlichen Planung zu berücksichtigen. Im Rahmen der Arbeit wird eine Methode entwickelt, welche steuerbare Korridore im lastflussbasierten Market Coupling und im DC-OPF abbildet. Zudem wird eine Methode zur Bestimmung elektrizitätswirtschaftlich vorteilhafter Anschlussknoten steuerbarer Korridore an das Höchstspannungsnetz entwickelt. Diese basiert auf der ökonomischen Interpretation von Schattenpreisen. Die Simulationsergebnisse zeigen, dass steuerbarer HGÜ- Korridore eine geringere Auslastung des Drehstromnetzes bedeuten und damit größere Reserven zur Bewältigung künftiger Anforderungen an den Betrieb bewirken. Sie verringern außerdem Ringflüsse über das Netz im benachbarten Ausland. Die langen Vorlaufzeiten für Planung und Genehmigung des Netzausbaus und die im Gegensatz dazu sehr dynamische Umgebung stellen die Netzausbauplanung vor große Herausforderungen. Zusätzlich zu technischen Planungsgrundlagen wird daher eine zeitlich rollierende Rahmenplanung für die Festlegung robuster Schritte zunehmend bedeutsamer.
persönliche Begründung der gesellschaftlichen Relevanz
In meiner Dissertation beschäftigte ich mich mit der zukunftsorientierten elektrizitätswirtschaftlichen Netzentwicklung. Die Ziele der Europäischen Union und auch Österreichs sind auf einen höheren Anteil erneuerbarer Energien gerichtet. Das damit einhergehende zeitliche und räumliche Auseinanderdriften von Erzeugung und Verbrauch stellt eine der wesentlichsten Problemstellungen der Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien dar. In der Dissertation wird die Problemstellung des Übergangs von einem vorwiegend bedarfsgerechten und bedarfsnahen Erzeugungssystems hin zu einem dargebotsabhängigen und lastfernen Aufbringungssystem, bestehend aus dezentralen, nicht-steuerbaren Kraftwerken, behandelt. Dieser Paradigmenwechsel erfordert einen umfangreichen Umbau des Verbundnetzes zu einem Netz, welches die Anforderungen an einen gerichteten und steuerbaren Transport erfüllen können muss. Im Zuge der Dissertation wurden neue Methoden entwickelt, welche sich vor allem Fragen der Einbindung von steuerbaren Netzelementen wie z.B. HGÜ-Leitungen zur Bewältigung des künftigen Transportbedarfs (also zur Überwindung der räumlichen Entfernung zwischen Ort des Anfalls der erneuerbaren Energien und Ort des Verbrauchs) widmen. Lastflussrechnungen und Optimal Power Flow-Rechnungen sind Stand der Technik. Die wissenschaftliche Originalität der Arbeit bezieht sich insbesondere auf die Einbindung steuerbarer Korridore in das DC-OPF-Modell und deren Verknüpfung mit ökonomischen Modellen für optimalen Stromhandel. Zudem werden zwei neue entwickelte Methoden gezeigt, die die Abbildung steuerbarer Netzkorridore im lastflussbasierten Stromhandelsmodell ermöglichen. Die eine basiert auf der Modellierung einer steuerbaren Leitung in Form variabler Ein- und Ausspeisungen, die zweite hingegen berücksichtigt die Steuerbarkeit direkt in einer variablen PTDF-Matrix. Weiters wurde der Optimal Power Flow dahingehend fortentwickelt, dass unter Anwendung der Theorie der Schattenpreise bestmögliche Anschlussstellen für Stromleitungen, Transportkorridore aber auch für Standorte von Kraftwerken gefunden werden können. Dies stellt einen wesentlichen Fortschritt für strategische Netzentwicklungsplanungen im Sinne der nachhaltigen und umweltschonenden Systemintegration erneuerbarer Energien dar. Innovation bedeutet nach Schumpeter die Umsetzung von wissenschaftlichen Entwicklungen in die Praxis. Die im Zuge der Dissertation entwickelten Methoden und Planungsansätze wurden in der Arbeit auf konkrete Aufgabenstellungen angewendet. Die elektrizitätswirtschaftliche Problemstellung bezieht sich dabei gesamt-systemisch auf die Wechselwirkungen der einzelnen Komponenten des gesamten Elektrizitätssystems auf die Netzentwicklungsplanung wie: Ort und Menge der zusätzlichen erneuerbaren Energien, Standorte der bestehenden bedarfsgerechten Kraftwerke, Orte der Situierung von neu erforderlichen klassischen Kraftwerken, Orte des Verbrauchs, bestehendes Höchstspannungsnetz, Positionierung von neuen, gerichteten Stromtransportkomponenten (HGÜ-Leitungen) sowie Änderung des Marktgegebenheiten (NTC, Market Coupling). Insofern ist hier darauf hinzuweisen, dass die Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeit sowohl in den österreichischen Masterplan 2030 der Austrian Power Grid als auch in den BRD-Bundesbedarfsplan 2013 der Netzentwicklung eingeflossen sind. Die mit diesen beiden Langfristplänen verbundenen Investitionsvolumina betragen in BRD rund 20 Mrd. € und mehrere Mrd. € in Österreich. Die gesellschaftliche Relevanz der Arbeit ist daher insbesondere durch ihre praktische Anwendung gegeben. Zudem gilt es stets zu berücksichtigen, dass eine sicheres und zuverlässiges Stromnetz und damit einhergehend eine sichere und zuverlässige Stromversorgung zwingende Grundvoraussetzungen unserer modernen und leistungsfähigen Volkswirtschaft sind, weshalb auch der Netzplanung eine besonders gesellschaftsrelevante Rolle beigemessen werden muss.