Karbiener Michael

Dipl.-Ing. Dr.techn.Foto Karbiener Michael 

Forum Technik und Gesellschaft Förderpreisträger 2011
Kategorie Dissertationen
2. Preis

Titel
Einfluss bestimmter MicroRNAs auf die humane weiße und braune Adipogenese
Kurzfassung
Während sich die Pharmakotherapie zur Bekämpfung von Fettleibigkeit durch reduzierte Nahrungsaufnahme wiederholt als erfolglos herausgestellt hat, ist die Steigerung des Energieverbrauchs mittels Thermogenese im braunen Fett (BAT) eine vielversprechende Strategie zur Gewichtsreduktion. Fettzellentwicklung und -physiologie sind auf molekularer Ebene jedoch nach wie vor unzureichend charakterisiert. Dies trifft vor allem für nicht-Protein-codierende RNAs (ncRNAs) zu, von denen viele erst vor wenigen Jahren entdeckt wurden. MicroRNAs (miRNAs) sind eine bestimmte Gruppe solcher ncRNAs, die durch Bindung an komplementäre messenger RNAs (mRNAs) die Proteinsynthese hemmen. Unter Verwendung humaner und muriner in vitro Modellsysteme wurden das miRNA Expressionsprofil während der Fettzelldifferenzierung (Adipogenese) untersucht und drei miRNAs für eine funktionelle Charakterisierung ausgewählt. miR-27b, deren Expression während der humanen Adipogenese zurückgeht, wurde als erste miRNA mit einem negativen Einfluss auf diesen Prozess identifiziert. Des weiteren wurde ein direkter inhibitorischer Einfluss von miR-27b auf PPARgamma, einen der wichtigsten adipogenen Transkriptionsfaktoren, festgestellt. Für miR-30c konnten ein Anstieg der Expression während der Adipogenese, ein pro-adipogener Effekt sowie eine direkte Interaktion mit dem Adipokin PAI-1 und dem Rezeptor ALK2 nachgewiesen werden. Interessanterweise erzeugte die simultane Dämpfung von PAI-1 und ALK2 einen vergleichbaren pro-adipogenen Effekt. Dadurch konnte zum ersten Mal in der Adipogeneseforschung eine miRNA als möglicher Koordinator von zwei bisher nicht zusammenhängenden Signalwegen identifiziert werden. Zuletzt wurde der Anstieg einer weiteren miRNA während der Adipogenese beobachtet. Interessanterweise induzierte die Überexpression dieser miRNA ein braunes Gen-Expressionsprogramm, vor allem eine starke UCP1-Expression, was letztlich eine gesteigerte metabolische Aktivität der Fettzellen bewirkte. Weiters wurde im weißen Fettgewebe (WAT) von Mäusen, die einer kalten Umgebung ausgesetzt wurden, ein Anstieg der miRNA beobachtet, was eine physiologische Rolle für dieses Transkript bei der Adaption an Kälte vermuten lässt. Auf mechanistischer Seite konnte eine direkte Interaktion der miRNA mit bekannten Inhibitoren des braunen Phänotyps validiert werden. Zusammenfassend wurden in dieser Arbeit drei miRNAs als neue Regulatoren in der humanen Adipogenese identifiziert. Vor allem die Entdeckung der ersten miRNA die einen braunen Phänotyp induziert könnte von therapeutischer Bedeutung sein, um einen gesteigerten Energieverbrauch im Fett zum Zwecke der Gewichtsreduktion zu erzielen.
persönliche Begründung der gesellschaftlichen Relevanz
Gesundheit gehört zu den höchsten Werten einer Gesellschaft. Mit weltweit über 1,5 Milliarden Betroffenen stellen Übergewicht und Fettleibigkeit die größte Epidemie des 21. Jahrhunderts dar. Die davon ausgehende enorme gesundheitliche Bedrohung betrifft nicht mehr nur Industriestaaten, sondern zunehmend auch Entwicklungs- und Schwellenländer. In Anbetracht der mannigfaltigen und schwerwiegenden Folgeerkrankungen von Fettleibigkeit wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten oder Krebs ergibt sich mit der Bekämpfung der Grunderkrankung ein außergewöhnliches Potenzial für Einsparungen und Effizienzsteigerungen in Gesundheitswesen und Produktivität. Der großen Zahl an Übergewichtigen steht im Moment eine nur sehr beschränkte Anzahl von zugelassenen Arzneimitteln gegenüber, deren gemeinsames Wirkprinzip eine Verringerung der Nahrungsaufnahme ist, deren Effektivität zur langfristigen Gewichtsreduktion jedoch de facto nicht gegeben ist. Interessanterweise wurde 2007 ein Gewebe im erwachsenen Menschen neu entdeckt- das braune Fettgewebe, das durch gesteigerte Stoffwechselaktivität überschüssige Fettreserven verbrennt. Dieser dem weißen Fettgewebe diametral entgegengesetzte Mechanismus legt einen völlig neuen Ansatz für die Entwicklung alternativer Wirkstoffe zur Behandlung von Fettleibigkeit nahe: das Aufspüren molekularer Schalter für die Rekrutierung und Aktivierung brauner Fettzellen – also die Steigerung des Energieverbrauchs anstelle einer Verringerung der Energieaufnahme – als therapeutische Option mit beeindruckendem Zukunftspotential. Meine Dissertation greift unter anderem dieses Ziel mit mehreren innovativen Ansätzen auf. Zum einen wurde nach nicht-protein-kodierenden Genen als neuen Regulatoren der Fettzellentwicklung, gesucht, insbesondere nach „microRNAs“, die nicht aus dem bereits gut erforschten protein-kodierenen Teil des menschlichen Erbguts stammen, sondern aus den bisher als „Abfall“ bezeichneten Regionen des Genoms. Zum anderen hatte ich durch nationale und internationale Kooperationen im biologischen, technischen und medizinischen Umfeld Zugang zu humanen Fettgewebsproben und dem derzeit weltweit einzigen menschlichen Stammzellsystem, das sich sowohl in weiße als auch braune Fettzellen entwickeln kann. Zu Beginn meiner Dissertation war erst für eine microRNA eine Funktion in der Entwicklung weißer menschlicher Fettzellen bekannt. Im Rahmen meiner Arbeit wurden zwei weitere microRNAs mit Einfluss auf diesen Prozess gefunden. Weiters ist es mir gelungen, die erste microRNA zu identifizieren, die Schlüsselmerkmale brauner Fettzellen induziert, insbesondere einen gesteigerten Energieverbrauch. Damit steht erstmals ein neuartiger „microRNA“-Schalter zur Verfügung, der die Fettzellbildung von Energiespeicherung zur Energieverbrennung umlenken kann. Diese Ergebnisse sind der Grundlagenforschung zuzuordnen, bilden aber gleichwohl die Basis für einen noch nie beschrittenen therapeutischen Weg zur Bekämpfung der Fettleibigkeit. Die gewerbliche Verwertbarkeit wurde durch eine Patentanmeldung durch die TU Graz gesichert, und eine kürzlich durchgeführte Erweiterung der Schutzrechte auf alle PCT-Länder unterstreicht den innovativen Charakter und die Praxisrelevanz der im Rahmen meiner Dissertation gewonnenen Erkenntnisse.