Die Größen der Technik

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Simon Stampfer


Stampfers Geburtshaus im Tauerntal
Simon Stampfer kommt am 28. Oktober 1792 als erstes der fünf Kinder von Bartelmä und seiner Frau Magdalena, geborene Schweinacher, auf die Welt. Der Vater ist Heimweber und Wanderweber und verdient sein karges Brot als Tagelöhner. Die junge Familie findet Aufnahme bei Steiner vulgo Unterrainer in der Rotte Raneburg bei Windischmatrei (heute: Matrei in Osttirol)

Simon kommt schon in jungen Jahren als Viehhüter zu fremden Bauern und darf erst mit 11 Jahren auf Bitten seiner Mutter und des Dechant Brandstätter die Volksschule der Marktgemeinde Matrei besuchen. Die Schulpflicht wurde bereits eine Generation früher eingeführt.

Dechant Brandtstätter erkennt die Talente des Knaben und fördert ihn, so dass er zu den Franziskanern ins Gymnasium nach Lienz gehen kann, jedoch wird dieses aufgrund politischer Wirren bald geschlossen (Wir befinden uns mitten in den Koalitionskriegen zwischen dem nachrevolutionären napoleonischen Frankreich und dem konservativen habsburgischen Kaiserreich. Die deutschen Länder, bis 1806 noch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation unter dem habsburgischen Kaiser zusammengefasst, koalieren teilweise mit Frankreich, teilweise mit Österreich.)

Zu Fuß und mit Empfehlungsschreiben ausgestattet, geht der junge Simon nach Salzburg, wo er zunächst keine Prüfungen ablegen darf, weil er das Schulgeld nicht bezahlen kann. Seinen Lebensunterhalt finanziert er sich durch Hausunterricht und als Kopist (handschriftliches Vervielfältigen von Texten). Die Teilnahme am Unterricht jedoch ist ihm erlaubt, und dort tut er sich durch Fleiß so hervor, dass ihm nach einiger Zeit das Schulgeld erlassen wird und er im Jahre der Gründung unserer Hochschule 1811 das Gymnasialstudium mit den besten Zeugnissen abschließen kann. Zum weiteren Studium muss er jedoch nach München gehen, da in Salzburg zu dieser Zeit keine Möglichkeit besteht. 1814 schließt Stampfer seine Lehramtsprüfung ab. Weil er sich aber mit der Beantwortung der physikalischen und mathematischen Fragen zu lange Zeit lässt, muss er am Schluss unter die Arbeit schreiben: „Ich bitte um Nachsicht in Hinsicht auf Schreibart und Orthographie, den ich kan die Arbeit nicht mehr durchsehen.“ Er besteht zwar die Prüfung trotzdem, aber ohne die gewohnte exzellente Beurteilung, so dass ihm daraufhin die Bayerische Staatsbürgerschaft verwehrt wird, die er jedoch benötigt, um in München unterrichten zu können.

Simon Stampfer in Salzburg
1816 sehen wir Stampfer als Hilfslehrer für Elementarmathematik, Physik und angewandte Mathematik am Salzburger Lyceum und als Supplent für Mathematik, Naturgeschichte, Physik und griechische Sprache am k. k. Gymnasium, seiner alten Salzburger Schule.

Als Lehrer ist Stampfer durch seine Exkursionen bei den Schülern beliebt; er lässt sie barometrische Höhenmessungen durchführen, damit sie den Wert des theoretisch Erlernten erkennen. In den Lehrunterlagen für seine Schüler verwendet er zur Höhenmessung die Laplace´sche Formel (Anzahl der Ergebnisse, bei denen A eintritt, gemessen mit der Anzahl aller möglichen Ergebnisse). Die logarithmisch-trigonometrischen Tabellen von Simon Stampfer aus dem Jahre 1822 werden in den Höheren Schulen des gesamten Kaiserreiches verwendet.


Der astronomische Turm am Kloster Kremsmünster, 1758 fertiggestellt, kann als das erste europäische Hochhaus bezeichnet werden.
In den Ferien knüpft er Kontakte mit Mathematikern und Astronomen des Benediktinerstifts Kremsmünster, wo bereits 1748 - 1758 der sogenannte astronomische Turm errichtet wurde, Anziehungspunkt zahlreicher Astronomen und Vermessungsfachleute. Mit Pater Marian Koller aus Kremsmünster bleibt er bis zu seinem Lebensende eng befreundet. Stampfers 40 Jahre andauernde Korrespondenz mit dem Stift ist dort erhalten.


1818 wirkt Stampfer bei den geographischen Längengradmessungen durch Blickfeueroperationen zwischen München, Wien, Budapest und Prag mit. Nachdem der Turm des Lustschlosses Mirabell abgebrannt war, fehlte der Salzburger Vermessungsfestpunkt. Stampfer stabilisiert den Mönchstein als Ersatz.

Bereits 1816 nimmt er im Zuge der neuen Grenzziehung im Nachgang der Neuordnung Europas beim Wiener Kongress freiwillig an den schwierigen Vermessungsarbeiten teil. Dort ist er den körperlichen Strapazen beim Überwinden der großen Höhendistanzen zwischen Salzburg und den alpinen umliegenden Gipfeln durch seine Osttiroler Herkunft gut gewachsen und entwickelt neue und vereinfachte Meßmethoden. Stampfer ist auch an der Militärtriangulation beteiligt (Landvermessung in großen Dreiecken zu militärischen Zwecken von Bergspitze zu Bergspitze in etwa 10 km langen Linien), und an der Anlage des Franziszeischen Katasters unter Kaiser Franz I., der ersten vollständigen Vermessung der österreichischen Länder zur Bemessung der Grundsteuer, ein Vorhaben, das 44 Jahre dauern sollte.

 

Simon Stampfer heiratet 1822 im Alter von 30 Jahren die 35jährige Salzburger Buchhalterstochter Johanna Wagner. Das Ehepaar nimmt in der heutigen Getreidegasse 13 Wohnung, das ist 2 Häuser neben Mozarts Geburtshaus, und zwar im 4. Stock, „45 Pariser Fuß über dem Kollegienplatz“ (heute: Universitätsplatz), wie Stampfer selbst beschreibt. Die Wohnung ist der Erbteil der Braut. Ebenfalls in Pariser Fuß misst er im Jahre 1824 als erster barometrisch die Höhe des Großglockners und kommt auf 11.758 Fuß (zu je 0,325m, womit er um 24 Meter zu hoch liegt).

Stampfer veröffentlicht in dieser Zeit über Höhenmessungen im Großglocknergebiet und über Messungen der Schallgeschwindigkeit mittels Rauchsignalen, ein Topos, dessen sich auch Carl Friedrich Gauß angenommen hat. Man behilft sich mit Rauchsignalen, weil die Uhren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch nicht so genau gehen, dass man sehr kurze Zeitabschnitte zuverlässig stoppen hätte können.

Außerdem forscht er viel über optische Themen, das physikalische Eichwesen und verschiedene Messgeräte. Ein sehr einfaches ist der Wein-Visierer: Um den Inhalt eines Fasses zu messen, wird am oberen Spundloch ein Visier-Stab eingeführt und links und rechts zum unteren Daubenansatz geführt und die Füllhöhe im aufgetragenen Klafter-Maß abgelesen. Das Mittel der beiden Abmessungen ergibt den Fassinhalt. (mit dieser Thematik hat sich bereits Johannes Kepler anlässlich seiner zweiten Hochzeit 1613 in Eferding befasst – er war skeptisch, ob die gelieferte Menge des Hochzeitsweines dem bezahlten Preis entsprach). Stampfer hingegen arbeitet diesbezüglich für den Staat und dessen Steuereinnahmen, die nach der gemessenen Weinmenge zu entrichten waren. Die Stampfer´schen Visier-Stäbe wurden erst durch die Normaleichungskommission aufgehoben, die nach der Einführung des einheitlichen metrischen Systems 1875 gegründet wurde. Bis dahin galt in österreichischen Landen das Wiener Klafter mit einer Länge von 1,896 m als Bezuglängenmaß, dessen vehementer Verteidiger Stampfer bis zu seinem Tode bleibt.

Simon Stampfer in Wien
1826 übernimmt Simon Stampfer die Nachfolge von Franz Anton Ritter von Gerstner am k. k. Polytechnischen Institut in Wien. Franz Anton Gerstner ist der Erbauer der ersten öffentlichen Eisenbahnlinie auf dem europäischen Festland, der Pferdeeisenbahn von Budweis nach Kerschbaum, und Sohn des Gründers der Mutter aller polytechnischen Hochschulen nichtmilitärischer Verwendung 1806 in Prag, Franz Joseph Gerstner.

Der neue Professor Simon Stampfer bezieht an dem 1815 von Johann Joseph Prechtl gegründeten Wiener Polytechnischen Institut, der nachmaligen Technischen Universität Wien am Karlsplatz, seinen Posten als Professor der praktischen Geometrie mit einem Gehalt von 1500 Gulden und einem Quartiergeld von 150 Gulden jährlich. (Zum Vergleich: an unserer TU Graz, die bereits 1811 als Lehranstalt am Joanneum gegründet wurde, wird dem Inhaber einer Lehrkanzel 1200 Gulden bezahlt, ohne Quartiergeld.) So siedelt die junge Familie – die Kinder Luise und Anton sind zwei und ein Jahr alt – im März 1826 von Salzburg nach Wien in die Taubstummengasse Nr. 3. Dort wird noch im selben Jahr Tochter Barbara geboren.

Stampfer, dem der Schulbesuch in früher Jugend verwehrt war, lässt seine Kinder anfänglich durch einen Hauslehrer unterrichten, den Theaterdichter Friedrich Kaiser, und wird als Förderer seiner Landsleute beschrieben: Er erwirkt vom Fürsten Metternich in dessen Eigenschaft als Prorektor der Akademie der Bildenden Künste in Wien für den Osttiroler Bildhauer Joseph Gasser ein jährliches Stipendium und eine Unterstützung zu einer Rom-Reise. Gasser hat die Figuren in der Wiener Votivkirche geschaffen. Einem anderen jungen Talent aus Matrei gewährt er jahrelang freie Kost und Logis in seiner Wohnung.
Kino-Pionier
Gemeinsam mit dem Belgier Joseph Antoine Plateau kann Simon Stampfer als Vater des Kinos gelten. Denn beide erfinden unabhängig voneinander das Phenakistiskop, einen Apparat, in dem sich eine Scheibe mit minimal verschobenen Bildern derselben Szene dreht. Durch die Trägheit des Auges entsteht der Eindruck einer bewegten Figur.

Stampfer nennt seine Erfindung „Lebensrad“ oder „stroboskopische Zauberscheiben“ und lässt sie durch den Verleger Trentsensky herstellen und vertreiben. Allerdings bedauert er in einem Brief nach Kremsmünster, dass er keine Freiexemplare bekommen habe, um sie weitergeben zu können.

Stroboskop, 1832, der Vorläufer des Kinos, noch vor der Erfindung der Fotographie. Durch die Sehschlitze auf einen Spiegel übertragen, entsteht durch die Trägheit des Auges bei rotierender Scheibe der Eindruck, dass die beiden Männer sich bewegen und ein Schmiedestück bearbeiten.

Stampfers Nachfolger Christian Doppler kehrt bei der Erklärung des Doppler-Effekts dieses Prinzip einfach um: nicht einzelne Bilder werden zu einer scheinbar einheitlichen Bewegung zusammengesetzt, sondern er zerlegt die Bewegung der Wellenausbreitung in Einzelphasen, um sie portionsweise untersuchen und erklären zu können.
Messinstrumente und Akademie
1828 veröffentlicht Simon Stampfer die theoretischen Grundlagen für die Fertigung Fraunhofer´scher Objektive und erfindet ein Sphärometer, mit dem man ohne weitläufige Rechnung mit der erforderlichen Genauigkeit die Halbmesser von Linsen messen kann.

Am Polytechnischen Institut gibt es seit seiner Gründung eine feinmechanische Werkstätte zum Bau der für Unterricht und Forschung benötigten Messinstrumente, sozusagen auf Zuruf.
Stampfer arbeitet sehr eng mit dem Werkstättenleiter Christoph Starke und seinem Sohn Gustav zusammen. Gegenseitige Anregungen finden ihren Niederschlag in der Erzeugung hervorragender Instrumente, die in die halbe Welt exportiert werden. Unter Stampfers Obhut fertigt man jetzt nicht nur Prototypen, sondern auch Großserien von Messapparaturen.


Nivellierinstrument mit
Stampfer´scher Schraube. Über 3000 dieser Geräte wurden weit über die Grenzen hinaus verkauft.
Stampfer und Starke erhalten 1836 ein Privileg (Patent) für ein Nivellier-Instrument. Ausgestattet mit Fernrohr und Objektiv werden Höhenunterschiede damit gemessen und Höhenhorizonte hergestellt. Stampfers Neuerung ist eine Nivellier-Schraube, mit der die mangelhafte Führung des Fernrohres nicht in der Visierlinie, sondern durch einen exzentrischen Drehpunkt beseitigt wird. Dieses Gerät wird in der Starke´schen Werkstatt erzeugt und noch um die Jahrhundertwende mit kleinen Veränderungen nachgebaut. Über 3000 Stück sind verkauft worden.

Zu diesen Nivelliergerät schreibt Stampfer 1845 ein Lehrbuch, das bis 1902, also lang nach seinem Tod, 10 Auflagen erlebt: Theoretische und praktische Anleitung zum Nivellieren und zu anderen damit verwandten, beim Eisenbahnbau vorkommenden geometrischen Arbeiten, mittelst der vorzüglichen neueren Nivellier-Instrumente; mit besonderer Rücksicht auf die verbesserten Nivellier-Instrumente aus der Werkstätte des k. k. polytechnischen Institutes zu Wien.


Kaiserliche Akademie der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse. Stampfer ist der 5. von rechts in der hinteren Reihe, der 4. ist Prechtl.
Stampfer gehört wie auch Franz Unger, dem Botaniker und Zoologen des Joanneums, oder Johann Joseph Prechtl, dem Gründer des Wiener Polytechnikums, zu den Gründungsmitgliedern der österreichischen Akademie der Wissenschaften, deren Eröffnungssitzung Erzherzog Johann Anfang Februar 1848 ehrenhalber präsidiert.
Letzte Jahre

Stampfers Berechnung der Sonnenfinsternis am 8. Juli 1842
Im selben Jahr legt Stampfer aus gesundheitlichen Gründen seine Lehrtätigkeit nieder. Er ertaubt, und sein rechter Arm ist völlig gelähmt, aber er lernt mit 58 Jahren noch mit der linken Hand zu schreiben und widmet sich seiner Passion, der Astronomie.

Bald nach seiner Emeritierung sterben seine beiden jüngeren Kinder an Lungenlähmung, zuerst Anton mit 25 Jahren, bereits Assistenzprofessor in den Fächern seines Vaters, und wenige Monate drauf die jüngste Tochter Barbara mit 23 Jahren.

Die Erstgeborene, Luise, ist mit Joseph Philipp Herr verheiratet, der von 1852 – 1857 Professor an unserem Joanneum ist und dann ans Wiener Polytechnikum berufen wird, wo er nach Christian Doppler und seinem ebenfalls Grazer Kollegen Friedrich Hartner ab 1858 als Nachfolger seines Schwiegervaters den Lehrstuhl für praktische Geometrie bekleidet.

Simon Stampfer wird 1849 das Ritterkreuz des österreichisch-kaiserlichen Leopold-Ordens verliehen, in dessen Zuge er in den Adelsstand erhoben wird und sich nunmehr Simon von Stampfer nennen darf. Im darauffolgenden Jahr erhält er auch noch den russischen Sankt-Annen-Orden. Er ist ständiger Vertreter im Herrenhaus des österreichischen Reichsrats.

Stampfer stirbt am 10. November 1864 und wird am Matzleinsdorfer katholischen Friedhof beigesetzt. Dieser Friedhof liegt im 10. Wiener Gemeindebezirk, rechts von der Triesterstraße kurz vor dem Matzleinsdorfer Platz, und wird 1923 in den Waldmüller-Park umgewandelt.

Vor der TU Wien ist Simon Stampfer eine Büste gewidmet.