Die Größen der Technik

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Gottfried Semper


Gottfried Semper
Gottfried Semper wird am 29. November 1803 in Hamburg geboren und wächst mit 7 Geschwistern in Altona auf. Sein Vater ist ein begüterter Wolltuchfabrikant. Altona gehört zum Land Holstein, das unter dänischer Verwaltung steht, während die Hansestadt Hamburg im November 1806 von den Franzosen besetzt wird, die damit der Kontinentalsperre auf alle englischen Waren Nachdruck verleihen wollen. Weil England aber ein wichtiger Handelspartner Hamburgs ist, weichen viele Hamburger Kaufleute ins Umland aus, um nicht bankrott zu gehen, so auch Papa Semper.

In Altona also wächst Gottfried auf und besucht ab 1819, der Franzosenzauber ist seit dem Wiener Kongress Vergangenheit, in Hamburg die Gelehrtenschule des Johanneums. Das Hamburger Johanneum ist eine altehrwürdige protestantische Eliteschule, die schon ein Jahr vor Formulierung des Augsburger Bekenntnisses (1530) von einem engen Vertrauten Martin Luthers gegründet wurde.

Nach der Matura geht Gottfried nach Göttingen studieren, Mathematik und Geschichte zunächst. Ob er Karl Friedrich Gauß kennengelernt hat, der seit 1806 in Göttingen einen Lehrstuhl für Mathematik innehat, ist nicht überliefert. 1825 zieht Semper weiter nach München, wo er bei Friedrich von Gärtner Architektur und Kunstgeschichte hört.

Wegen der Teilnahme an einem Duell muss er weg und besucht in Paris die Architektenschule von Franz Christian Gau, die vor allem Deutsche ausbildet. In Paris erlebt er auch die Julirevolution von 1830, die ihn sehr beeindruckt. Handwerker, Arbeiter und Studenten zwingen den letzten Bourbonen wegen immer weiter fortschreitender Restaurationsbestrebungen zum Abdanken, und er räumt das Feld für einen entfernten Verwandten, den sogenannten Bürgerkönig Louis Philippe von Orleans, den das gemäßigte Großbürgertum um Adolphe Thiers auf den Thron hebt. In Folge werden in verschiedenen deutschen Staaten Verfassungen formuliert, so auch in Sachsen, wo Gottfried Semper bald sein wird.

Zunächst aber ist er, wie sein preußischer Kollege Schinkel eine Generation vor ihm, auf ausgedehnten Studienreisen in Italien und Griechenland, um seine Kenntnisse über Architektur zu vervollkommnen. Vor Ort stellt er Untersuchungen darüber an, ob die uns als weiß bekannten Marmorfassaden griechischer und römischer Architektur immer weiß waren, und kommt zu dem Schluss, dass nein. Mit dem aufsehenerregenden Werk Vorläufige Bemerkungen über bemalte Architektur und Plastik bei den Alten im Jahre 1834 liefert er einen wesentlichen Beitrag zur damaligen Debatte über die Farbigkeit antiker Architektur, dem sogenannten Polychromiestreit, der vor allem durch Johann Joachim Winckelmanns Ausspruch über die "edle Einfalt und stille Größe" der griechischen Klassik geprägt ist, welcher auch von Goethe stark propagiert wird. Bunt geht da ja gar nicht.

Dresden
Dieser Bekanntheitsgrad führt dazu, dass Gottfried Semper 1834 den Lehrstuhl für Architektur an der Dresdner Kunstakademie erhält. Er leistet dem sächsischen König den Untertänigkeitseid und ist fortan Sachse in der sächsischen Hauptstadt, die wieder zu einem kulturellen Zentrum Mitteleuropas werden möchte.

Also entfaltet Semper in Dresden sofort eine ausgedehnte Planungstätigkeit, deren Ausführungen jedoch bisweilen durch die Realität gebremst werden. So kommt es nicht zum Ausbau eines repräsentativen Forums, das er zwischen dem Dresdner Zwinger und der Elbe aufspannen will, als würdigen Rahmen für ein Denkmal des ersten sächsischen Königs Friedrich August I. Im Zuge der Rheinbundgründung 1806 wurden mehrere deutsche Mittelstaaten zu Königtümern von Napoléons Gnaden erhoben, so auch das Kurfürstentum Sachsen, denn Kurfürsten werden seit der Niederlegung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1804 nicht mehr benötigt.


erstes Hoftheater in Dresden von Gottfried Semper 1841, 1869 abgebrannt
Gebaut wird hingegen das Hoftheater, und zwar in einer ungewöhnlichen Gestalt. Schon in seiner Antrittsvorlesung spricht Semper über die Form von Theaterbauten: nämlich rund, nicht eckig, weil sich Menschenmassen um den Gegenstand des Interesses immer in Kreisen, nie in Vierecken anordnen, um besser zu sehen und zu hören. Entsprechend hat die erste Dresdner Semper-Oper in Anlehnung an das Kolosseum in Rom eine halbrunde Fassade. Dieses Hoftheater wird nach nur drei Jahren Bauzeit 1841 mit Goethes Torquato Tasso und Webers Jubelouvertüre eröffnet. Carl Maria von Weber war von 1817 bis zu seinem Tod 1826 königlicher Kapellmeister und Direktor der Deutschen Oper am Dresdner Hoftheater.

Webers Jubelouvertüre ist auch bei der Eröffnung der zweiten Semper-Oper 1878 das Musikstück der Wahl, das erste Schauspiel in den neuen Räumlichkeiten ist auch wieder Goethe, aber diesmal "Iphigenie auf Tauris", ganz klassisch, wohl eine Folge des Historismus, der optisch allerorts Platz greift. Die zweite Semper-Oper wurde nötig, weil die erste 1869 abgebrannt ist. Sie wurde nach der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 wieder aufgebaut und erstrahlt seither in neuem Glanz.

Semperoper bei Nacht


© Pehlemann
Der dunklere Riegel in der Mitte ist die Gemäldegalerie, 1855. Im Hintergrund die zweite Semper-Oper von 1778. Links im Vordergrund ist der eine Teil des Zwingers zu sehen, der Gegenüberpart ist abgeschnitten.
Viele Bauwerke Sempers in Dresden sind heute hingegen nicht mehr erhalten, hierzu gehören eine Sommervilla für die Bankiersfamilie Oppenheim und der wohl durch deren Vermittlung erfolgte Auftrag für die Synagoge, die 1840 fertiggestellt wird.

Heute noch besucht werden kann auch die Gemäldegalerie, die den Zwingerplatz optisch nach Nordosten hin abschließt. Hier verbildlicht sich ein anderer Abschnitt aus Sempers Antrittsrede: dass für ihn Architektur nicht einfach die Technik ist, umbaute Räume zu schaffen, sondern Bau-Kunst schlechthin. Im Galeriegebäude geht es durch einen antiken Triumphbogen in die Vorhalle, in der die wichtigsten historischen Kunstschulen figürlich dargestellt sind. Über eine lange Treppe gelangt man in den "Olymp", die Gemäldegalerie der sächsischen Herrscher. Und über ein symbolisches Treppengebirge, das die Alpen darstellt, kommt man zu den Meisterwerken der italienischen Malerei. 1855 wird die Sempergalerie eröffnet.

Da ist Semper aber schon lang nicht mehr in Dresden - wenn auch unfreiwillig und unter Zurücklassung seiner Frau Bertha und der sechs Kinder:


Große Barrikade Anfang Mai 1849 an der Wilsdruffer Gasse, nach einer Graphik von C. W. Arldt
Semper, wie viele seiner Intellektuellen-Kollegen überzeugter Republikaner und mit der konservativen Verfassung nicht einverstanden, beteiligt sich nämlich sehr intensiv am Dresdner Maiaufstand. Weil die Frankfurter Nationalversammlung an der Formulierung einer einheitlichen deutschen Verfassung und mit ihr die Bürgerliche Revolution von 1848 im wesentlichen gescheitert ist, gibt es in einigen deutschen Ländern noch Nachwehen der Revolution, allen voran in Baden und Sachsen. In Sachsen zwingt die Dresdner Bevölkerung Anfang Mai 1849 den konservativen König Friedrich August II. zur Flucht. Gottfried Semper ist als Angehöriger der Kommunalgarde mittendrin: Er baut die uneinnehmbare Hauptbarrikade in der Wilsruffer Gasse und befehligt selbst die Barrikade Nr. 13 in der Waisenhausstraße, nahe seiner Wohnung. Nach der Niederschlagung wird er als einer der Haupträdelsführer steckbrieflich gesucht und erst 1863 rehabilitiert.

Sein Freund Richard Wagner, seit 1842 Hofkapellmeister am von Semper erbauten Dresdner Hoftheater, wo er mit der glänzenden Uraufführung seiner ersten Oper Rienzi brilliert und sich seither als Opernkomponist etabliert, informiert die Aufständischen vom Turm der Kreuzkirche herab über die Truppenbewegungen des preußischen Entsatzheeres vor der Stadt. Er entzieht sich der Haft durch Exil in der Schweiz.

Ihr gemeinsamer Freund, der Grazer August Röckel, seit 1843 Musikdirektor unter Richard Wagner, wird als Aufständischer gefangengenommen und erst nach 13 Jahren Haft als letzter "Maigefangener" entlassen. Wagner ist während dieser Zeit immer in Briefkontakt mit Röckel. Nach seiner Freilassung arbeitet er nur noch schriftstellerisch und stirbt 1876 in Budapest.

Der Revolutionstourist und Anarchist Michail Bakunin gehört zu den Anführern des Dresdner Maiaufstandes. Auch er wird gefangengenommen, nach einem Todesurteil zu lebenslanger Haft begnadigt und kann erst 12 Jahre später aus der Sibirischen Gefangenschaft fliehen. Seine Flucht führt ihn über Japan und die USA wieder nach Europa. Er setzt sich sehr für die Arbeiterbewegung ein und stirbt 1876 in der Schweiz.

Zürich
Gottfried Semper hingegen flieht über Paris nach England. Dort lebt er von einigen kleineren Aufträgen und ist in Ermangelung einer Fixanstellung in erster Linie mit theoretischen Arbeiten befasst. Einzig seine Gestaltung von vier Ländersektoren für die allererste Weltausstellung, die 1851 in London stattfindet, ist überliefert. Es entstehen Die vier Elemente der Baukunst und Wissenschaft, Industrie und Kunst. Sein Hauptwerk Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik erscheint zwar erst später, erfährt aber London seine wichtigsten Impulse.


ETH Zürich, fertiggestellt 1864, Foto um 1880. An der Nordfassade der ETH Zürich sind wie an der Alten Technik in Graz Künstler und Persönlichkeiten der Natur- und Ingenieurwissenschaften abgebildet, wie Michelangelo, Galilei oder Watt.

In Zürich wird 1855 mit dem Eidgenössischen Polytechnikum die erste Hochschule des neuen Schweizer Bundes gegründet. An diese Hochschule wird Semper auf Vermittlung seines Freundes Wagner, der selbst auf direktem Wege aus Dresden nach Zürich geflohen ist, als bestdotierter Professor auf Lebenszeit gewählt. In der Zürcher Zeit pflegt Semper im Salon des Ehepaares Otto und Mathilde Wesendonck häufig Umgang mit der geistigen Elite Zürichs wie C. F. Meyer, Gottfried Keller oder seinem Freund Richard Wagner, dessen Muse die Gastgeberin ist.


In der Zürcher Zeit gibt Semper nicht nur sein Hauptwerk heraus, sondern plant und baut auch das Hauptgebäude der späteren ETH Zürich, das er majestätisch ins Bild setzt, direkt über die Altstadt. Auch die Zürcher Sternwarte stammt von Semper.




So hätte das Wagner-Theater in München aussehen sollen. 1866/67
Wagner ist inzwischen von Zürich nach Bayern gegangen und wird von König Ludwig II. von Bayern sehr unterstützt. So kommt es, dass Semper den königlichen Auftrag erhält, für Wagner ein Festspielhaus in München unweit des Maximilianeums zu planen. Eine architektonische Besonderheit dieses Hauses ist die doppelte Feststiege, die später im Wiener Burgtheater realisiert wird. Gleichzeitig macht Wagner Ludwig II. den Vorschlag, Semper als Professor für höhere Baukunst an das neue Münchner Polytechnikum zu binden. Aus beidem wird nichts.

München ist also ein Nicht-Ort für Semper, aber die Dresdner wollen nach dem Brand des ersten Hoftheaters wieder Gottfried Semper als Architekten für den Neubau. Rechtlich ist das möglich, weil der Steckbrief seit 1863 aufgehoben ist, und Semper zeichnet auch alle Pläne, kehrt aber nicht nach Dresden zurück, um bei den Ausführungen anwesend zu sein, sondern beauftragt seinen Sohn Manfred als Mittelsmann. Diese Semper-Oper ist heute noch zu besichtigen.

Wien

"Kaiserforum" 1873: ein nur teilweise umgesetzter Entwurf Sempers für das Natur- und das Kunsthistorische Museum (im Vordergrund, vlnr) und die Burgerweiterung um das Heldentor
Das weitaus größte Werk Sempers ist aber in Wien zu finden. 1869 als Gutachter für die Entwürfe der Hofmuseen entlang der neu angelegten Ringstraße auf der Höhe der Burg bestellt, verwirft Semper alles Vorgelegte und schlägt stattdessen eine städtebauliche Monumentalanlage als imperiales Gegenstück zur bürgerlich konnotierten Ringstraße vor. Das sogenannte "Kaiserforum" sieht die Zwillingsbauten Kunsthistorisches und Naturhistorisches Museum auf der äußeren Ringseite vor, und innen hinter dem 1824 eingeweihten Heldentor ebenso spiegelgleich angelegte Prunkbauten. Von diesen wurde nur der rechte Flügel als "Neue Burg" errichtet, der heute u.a. die Österreichische Nationalbibliothek beherbergt. Das Gegenüber-Gebäude fehlt. Das Ensemble mit seinen eingebauchten Formen erinnert stark an den Dresdner Zwinger. Auch auf die beiden Tore an der Ringstraße als Abschluss dieses gescheiterten städtebaulichen Prestigeobjekts wurde zugunsten des Verkehrsflusses verzichtet.


Wiener Burgtheater
Auch das Wiener Burgtheater, gegenüber dem Rathaus ebenfalls an der Ringstraße gelegen, ist ein Planungswerk von Gottfried Semper. Ihm wird für alle Ausführungen in Wien der Inhaber der Architekturprofessor Carl Hasenauer zur Seite gestellt. Die Zusammenarbeit der beiden Architekten ist nicht harmonisch, und nach einem Zerwürfnis räumt der auch schon gesundheitlich angeschlagene Semper das Feld. So hat Hasenauer freie Hand bei der Vollendung, die aber nicht nach dem Geschmack der Wiener gerät, die vom alten Burgtheater verwöhnt sind: so muss wenige Monate nach der Eröffnung wegen der schlechten Akustik die Decke abgesenkt werden, und auch einige optische Umgestaltungen werden vorgenommen. Die Debatte über die Zuordnungen der einzelnen Baudetails dauert bis heute an. Hasenauer, ein Mann mit üppig-dekorativem Gestaltungswillen im Stile Hans Makarts, gibt seinen Lehrstuhl für Moderne Architektur 1884 an Otto Wagner ab, der dem Begriff Moderne Architektur eine neue Bedeutung verleihen wird.


Semperdepot 1875-77
Vom Namen her in Österreich am besten bekannt, aber untypisch für den Repräsentations-Bauer Gottfried Semper, ist das Semper-Depot in der Wiener Lehargasse. Dieser funktionale Zweckbau aus den letzten Jahren seines Lebens wird als Produktionsstätte und Depot für Theaterdekorationen und  Kulissen errichtet und weist in Klarheit und Materialwahl schon auf das 20. Jahrhundert hin. Heute dient das Semperdepot als Unterrichtsraum für Architekturstudierende, Ausstellungsraum (Wehrmachtsausstellung), und Event-Location.

Gottfried Semper leidet gegen Ende seines Lebens immer stärker an Asthma und stirbt am 15. Mai 1879 in Rom auf einer Erholungsreise.

Interessanterweise gibt es nirgends einen Hinweis darauf, ob sich die beiden wichtigsten deutschen Architekten des 19. Jahrhunderts, Semper und Schinkel, die nur eine Generation und ein mittelgroßes Königreich voneinander entfernt gewirkt haben, jemals kennengelernt haben oder voneinander wussten. Und auch ein Interesse an dieser Fragestellung konnte nicht festgestellt werden.