Die Größen der Technik

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Wilhelm Weber

Aufgewachsen unter französischer Besatzung

Die Zeiten sind bewegt. Napoleon bringt ganz Europa in Aufruhr. Aufgrund der Koalitionskriege, die die deutschen Länder erschüttern, fühlen sich viele Reichsstände im Staatsgebilde des deutschen Reichsverbandes nicht mehr gut aufgehoben, sagen sich vom Deutschen Kaiserreich los und treten dem Rheinbund bei, einer 1806 in Paris gegründeten Konföderation deutscher Fürsten unter dem Schutz Napoleons.

In der Schlacht von Jena und Auerstedt im Oktober 1806 besiegen die napoleonischen Truppen souverän das vereinigte preußisch-sächsische Heer. Auch der sächsische Kurfürst Friedrich August unterwirft sich daraufhin Napoleon und tritt dem Rheinbund bei. Zum Dank wird Sachsen zum Königtum erhoben. Wittenberg, im östlichen Teil Sachsens gelegen und scherzhaft „das protestantische Rom“ genannt, ehemals Wirkstätte von Martin Luther, Philipp Melanchthon und Lucas Cranach, hat seine beste Zeit bereits hinter sich, wird aber nun auf Befehl Napoleons zur Festung und Garnisonsstadt ausgebaut, die zum französischen Durchgangsquartier für insgesamt 160.000 Mann wird, welche auch alle verpflegt werden müssen. Um Platz zu schaffen, wird die ehrwürdige Wittenberger Universität zunächst nach Bad Schmiedeberg ausgelagert und schließlich 1815 mit der Universität Halle vereinigt.


Webers Geburtshaus in der Schlossstraße 10 in Wittenberg

An dieser Wittenberger Universität lehrt Professor Michael Weber evangelische Theologie und hält bis an sein Lebensende 1833 seine Vorlesungen auf Latein. Nebenbei versieht er noch den Dienst eines Predigers an der Wittenberger Schlosskirche (das ist die mit der berühmten Tür, an die Luther im Herbst 1517 seine Thesen angeschlagen haben soll). Am 24. Oktober 1804 wird ihm sein fünftes Kind geboren: der kleine Wilhelm Eduard. Das Geburtshaus, ein massiger Renaissancebau aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, ist die ehemalige Posthalterei in der Schlossstraße 10 und steht heute noch. Es ist unter dem Namen „Das Haus mit der goldenen Kugel“ bekannt und war erst am Pfingstsonntag 2010 in den Schlagzeilen, weil das umgestürzte Baugerüst der Renovierungsarbeiten für seinen Ausbau als Wissenschaftszentrum Sachsen-Anhalt mehrere Passanten verletzt hat.

Als Wilhelm neun Jahre alt ist, kommt es zu schweren kriegerischen Auseinandersetzungen in der napoleonisch besetzten Stadt, in deren Folge auch das Haus der Familie Weber abbrennt und sie schlussendlich zeitgleich mit der Universitätszusammenlegung nach Halle übersiedeln. Dort immatrikuliert Wilhelm später Naturwissenschaften und promoviert im Alter von 22 Jahren mit seiner Dissertationsschrift „De Theoriam efficaciae laminarum maxime mobilium arcteque tubas aerem sonantem etc. continens“ Das ist zwar ausgesprochen schlechtes Latein, aber es handelt sich um die Wirksamkeit der Zungen in den Orgelpfeifen.

Über Orgeln …

Bereits 1825 hat sein um 10 Jahre älterer Bruder Ernst Heinrich gemeinsam mit Wilhelm sorgfältige Beobachtungen über Flüssigkeitswellen angestellt. Die Lichtwellentheorie von Augustin Fresnel war gerade veröffentlicht worden, aber über die Wellen in Flüssigkeiten war wenig bekannt. Grund genug für die Brüder Weber, unter Zuhilfenahme von augenblicklich in bewegte Flüssigkeiten getauchte Schiefertafeln eine Momentaufnahme der Wellen zu machen, sie genauestens zu vermessen und diese Erkenntnisse in einer „Wellenlehre auf Experimente gegründet“ zu veröffentlichen. Auch ihre Beobachtungen über die Ausbreitung von Flüssigkeit auf Flüssigkeit (Öl auf Wasser) haben sie dort dargelegt.

Im Zuge seiner Arbeiten zur Wellenlehre stößt Weber auf ein Problem, das er sowohl in seiner Dissertation als auch in der Habilitationsschrift bearbeitet und worum es auch in dem Vortrag geht, der ihm den Durchbruch bedeutet: Dass ein schwingender Körper in seiner Tonhöhe durch äußere Umstände wie Temperatur, Feuchtigkeit oder Anschlagskraft beeinflusst wird. Selbst eine Stimmgabel klingt schwach angeschlagen höher als eine kräftig angeschlagene. Bei einer Orgelpfeife ist es umgekehrt: schwach angeblasen klingt sie tiefer, als wenn man sie stark anbläst. Um ein Instrument zu ermöglichen, das immer die selbe absolute Tonhöhe liefert, montiert Weber Metallplatten an Orgelpfeifen, die in ihrer Eigenschwingung jene der Orgelpfeifen beeinflussen und umgekehrt, so dass die tief schwingende Luftsäule und die hoch schwingende Zunge sich gegenseitig beeinflussen und beide Teile der Orgelpfeife sich aneinander anpassen müssen, um gemeinsam schwingen zu können, und zwar bei schwacher wie bei starker Erregung immer gleich. Das Ergebnis nennt er „kompensierte Pfeifen“.

Ein Stipendium zur Vervollkommnung seiner Ausbildung wird ihm verweigert, und so habilitiert sich Weber mit einer Schrift „Über die Gesetze der Schwingungen zweier Körper, die welche so miteinander verbunden sind, dass sie nur gleichzeitig und gleichmäßig schwingen können“ an der Universität Halle. Im Herbst 1828 bricht er zu Fuß nach Berlin auf, um dort im September vor der Naturforscherversammlung einen vielbeachteten Vortrag über die „Compensation der Orgelpfeifen in bezug auf die Stärke der Töne“ zu halten, der ihm in Gestalt von Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß die Tür zur Welt der Wissenschaftler öffnet. In Berlin hat der junge Weber nun Umgang mit den Berzelius-Schülern Gustav Magnus, Eilhard Mitscherlich, Gustav und Heinrich Rose und Friedrich Wöhler, dem Mineralogen Christian Samuel Weiss und beiden Brüdern Humboldt. Sein Vortrag wird noch im selben Jahr, wahrscheinlich auf die Fürsprache von Gauß, in der damals renommiertesten deutschsprachigen Wissenschaftszeitschrift Poggendorffs Annalen der Physik veröffentlicht. Ganz sicher der Fürsprache von Gauß verdankt Weber seine Berufung als ordentlicher Professor für Physik an die Universität Göttingen im Jahre 1831.

Göttingen ist Universitätsstadt und ein Zentrum der Naturwissenschaften. Carl Friedrich Gauß wirkt hier seit 1807, wenn auch nur ungern, als Mathematikprofessor und Direktor der Sternwarte, was ihm deutlich mehr behagt. Robert Bunsen habilitiert sich 1834 in Göttingen und macht hier seine Entdeckung des Eisenoxydhydrats als Gegengift bei Arsenvergiftungen, bevor er 1836 die Nachfolge von Friedrich Wöhler in Kassel antritt, welcher wiederum in Göttingen eine Professur für Chemie annimmt.

… und Wellen

Wilhelm Weber also tritt 1831 in Göttingen seine Professur für Physik an und arbeitet sofort auch eng mit Carl Friedrich Gauß zusammen, den er als väterlichen Freund betrachtet. Ihre ersten gemeinsamen Arbeiten betreffen den Magnetismus. Die Beobachtungsapparaturen sind zum einen Teil in der Sternwarte, zum anderen Teil in dem etwa eine Viertelstunde davon entfernten Physikalischen Cabinet aufgestellt. Weil die gegenseitige Verständigung über Boten nicht so zufriedenstellend ist und am besten einige Messungen gleichzeitig angestellt werden sollen, entwickeln die beiden die erste größere Telegraphenanlage, indem sie über den Dächern von Göttingen einen doppelten Kupferdraht zwischen der Sternwarte und dem Physikinstitut spannen, der die Signale durch galvanische Ströme überträgt. Die kleinen Ablenkungen eines an Multiplikatordrähten befestigten Magnetstabes von einem Pfund Gewicht nach links oder rechts ergeben die Buchstaben eines Codes. Diese Methode bedient sich der erst kurz zuvor von Michael Faraday gemachten Entdeckung des Induktionsstroms. Angeblich lautete die erste telegraphisch übertragene Botschaft: „Michelmann kommt“. Michelmann soll schon da gewesen sein, bis Gauß den Code endlich entziffert hat. Michelmann ist der Institutsdiener und wird häufig mit Botengängen beauftragt. Allerdings ist Michelmann erst ab 1847 am physikalischen Institut beschäftigt, und die erste Übertragung war bereits um Ostern 1833, was diese Geschichte ins Reich der Legenden verweist.

Einer der Göttinger Sieben

Bereits seit 1714 stammt der englische König aus dem Hause Hannover und regiert in Personalunion sowohl das Königreich Großbritannien als auch Chur-Hannover. Dieses, dem auch Göttingen zugehört, wird auf dem Wiener Kongress zum Königreich erhoben und erhält nach zähen Verhandlungen im Nachgang der 1830er Revolution eine vergleichsweise liberale Verfassung. 1837 stirbt der König Wilhelm IV. Ihm folgt Queen Victoria auf den englischen Thron, aber weil in Hannover salisches Recht herrscht, das eine weibliche Thronfolge verbietet, übernimmt dort Wilhelms Bruder Ernst August die Regierung, und nach 123 Jahren erlischt die Verbindung zwischen England und Hannover.


Die Göttinger Sieben. Die beiden oberen sind Wilhelm und Jacob Grimm, in der Mitte Friedrich Christoph Dahlmann, der Initiator des Schreibens, und links unten Wilhelm Weber.

Eine der ersten Taten Ernst Augusts ist es, die Verfassung wieder zurückzunehmen, die vier Jahre vorher ja ohne seine Zustimmung in Kraft getreten war, und alle Staatsdiener einen Eid auf die alte Verfassung von 1819 schwören zu lassen. Das ruft das liberal eingestellte Bildungsbürgertum aus dem Umfeld der Göttinger Universität auf den Plan, wo der neue Verfassungstext mitformuliert worden war. Professor Friedrich Christoph Dahlmann schreibt am 18. November 1837: „Das ganze Gelingen unserer Wirksamkeit beruht nicht so sicher auf dem wissenschaftlichen Werth unserer Lehren, wie auf unserer persönlichen Unbescholtenheit. Sobald wir vor der studierenden Jugend als Männer erscheinen, welche mit ihren Eiden ein leichtsinniges Spiel treiben, ebenso bald ist der Segen unserer Wirksamkeit dahin.“ Allerdings unterschreiben nur sieben Professoren den flammenden Aufruf – die anderen wollen die Festlichkeiten zum 100jährigen Bestandsjubiläum der Universität in diesem Jahr nicht gefährden.

Was zunächst nach einer im Sande verlaufenen Aktion aussieht, zieht jedoch im übrigen Deutschland weite Kreise, denn es werden tausende Abschriften des Protestschreibens angefertigt und verteilt. Die sogenannten Göttinger Sieben sind mit einem Schlag in aller Munde. Einer von ihnen ist Wilhelm Weber, zwei weitere die beiden Germanisten Jacob und Wilhelm Grimm, besser bekannt als „die Gebrüder Grimm“. Alle sieben werden vom König ihrer Professuren enthoben, drei sogar des Landes verwiesen. Jedoch findet sich kein Gelehrter von Rang, die so freigewordenen Stellen nachzubesetzen, und die Studentenzahl geht in den folgenden Jahren dramatisch zurück.

Ein Versuch Humboldts und Gauß´, Weber wieder zu rehabilitieren, scheitert an dessen Gesinnung, keine Sonderbehandlung genießen zu wollen. Weber bleibt einige Jahre als Privatmann in Göttingen und lebt von den Zuwendungen der überall in Deutschland zur Unterstützung der Göttinger Sieben ins Leben gerufenen Göttinger Vereine. Er schlägt, um in der Nähe von Gauß bleiben zu können, sogar eine Professur an der polytechnischen Schule im gut 300 km entfernten Dresden aus, geht jedoch dann 1843 nach Leipzig, das 100 km näher an Göttingen liegt, und außerdem sind an dieser Universität bereits seine beiden Brüder Ernst Heinrich und Eduard als Physiologen tätig. Erst 1849 kehrt Weber nach Göttingen zurück.

Die Fixierung der elektrischen Maßeinheiten

Coulomb erkennt elektrische Erscheinungen zwischen zwei Fluida wie Glas und Harz: Teilchen desselben Fluidums stoßen sich ab, Teilchen verschiedener Fluida ziehen sich gegenseitig an, und zwar mit einer Kraft, die wie die von Newton entdeckte und formulierte Gravitation dem Quadrat der Entfernung umgekehrt proportional ist. Carl Friedrich Gauß nun bestätigt die Übertragung dieser Erscheinungen auch auf den Magnetismus durch Messungen.


Elektrodynamometer von 1845

Bereits Ampère hat die Aufgabe gestellt, herauszufinden, wie die elektrostatische Fernwirkung der Teilchen durch Bewegung so modifiziert werden kann, dass als Resultat das Ampère´sche Gesetz herauskommt. Weber löst dieses Problem in seiner ersten Abhandlung über elektrodynamische Maßbestimmungen. Zu diesem Behufe konstruiert er ein Messgerät, den Elektrodynamometer, mit dem er die Richtigkeit des Amperegesetzes nachweisen kann: Wenn der gleiche Strom durch zwei konzentrische Spulen geht, die eine gemeinsame Drehachse haben und die mit einem Winkel von 90° aufeinander stehen, ist das Drehmoment proportional zum Quadrat des Stroms.

Kritiker meinen allerdings, dass dieses Messgerät nur Wirkungen geschlossener Stromkreise nachweisen kann, die Verteilung der Gesamtwirkung auf die einzelnen Stromelemente jedoch nicht, und daher das Ampèregesetz nur einer von mehreren möglichen Ausdrücken von elektrodynamischer Wechselwirkung ist. Doch ist die Aufgabe gelöst, und der Zusammenhang zwischen dem elektrostatischen und dem elektrodynamischen Fundamentalgesetz ist erkannt und erhält zu Webers Ehren seinen Namen. Es besagt, dass die zwischen zwei elektrischen Teilchen wirkende Kraft nicht allein von ihren Massen und ihrer Entfernung zueinander, sondern zusätzlich auch von ihrer relativen Bewegung abhängt.

Webers zweite Abhandlung über die elektrodynamischen Maßbestimmungen hat nicht ein mathematisch nachweisbares Theoriegebäude zum Ziel, sondern rückt die praktische Seite der gestellten Aufgabe in den Vordergrund. Dabei stellt er anhand von Messungen die Wirkung der statischen und der dynamischen Ladung in Relation und kann daraus als überraschendes Ergebnis die Geschwindigkeit des Lichtes errechnen.

Diese beiden Abhandlungen, die das elektrische Maßsystem abschließen, bilden die Grundlage zu Webers Ruhm, weil die Bedeutung der Elektrizität für Industrie und Verkehr gerade in dieser Zeit extrem zunimmt und genaue Maßbestimmungen nicht nur ein Bedürfnis der Wissenschaft, sondern insbesondere auch der Technik waren. Zeitgenossen sind enttäuscht, dass bei den Maßeinheiten Ampere, Volt und Ohm, die der elektrotechnische Kongress in Paris benennt, Weber nicht vorkommt. Erst 1935 wird die SI-Einheit für den magnetischen Fluss nach ihm benannt ist: 1 Wb (m²kgs-²A-1) entspricht einer Voltsekunde.

Ausdruck der Wertschätzung sind seine Aufnahme in die Royal Society 1850, in die Royal Society of Edinburgh 1874 und die Verleihung der Copley-Medal 1859, ein Jahr nach Charles Lyell und ein Jahr vor Robert Bunsen.

Magnetismus, Elektrizität, Gravitation - Wie wirken fernwirkende Kräfte?

Als nun das Webersche Gesetz von der Strombewegung in molekularer Umgebung formuliert ist, wird der von Robert Mayer gefundene Energieerhaltungssatz, der nachmalige erste Hauptsatz der Thermodynamik, als Grundlage der exakten Naturwissenschaften erkannt, und die allgemeine Gültigkeit des Weberschen Gesetzes in Zweifel gezogen. Und tatsächlich stellt sich heraus, dass das Webersche Gesetz nur bei dünnen Drähten mit dem Energieerhaltungssatz in Übereinstimmung zu bringen ist und ihm daher nur die Bedeutung einer Interpolationsformel zugemessen werden kann.

Die Theorie der fernwirkenden Kräfte ist von Newton selbst angezweifelt worden, der die Gravitation nur als mathematische Größe einführt, nicht als etwas Messbares. Seiner Ansicht nach hat der den Weltraum erfüllende Äther unterschiedliche Spannungen, und die Gravitation ist dadurch begründet, dass Körper von dichteren zu weniger dichten Stellen des Äthers treiben.

Faraday, bar jeder mathematischen Bildung und daher auf der Suche nach anschaulichem Ausdruck, spricht von Kraftlinien, wenn er Magnetismus und Elektrizität beschreiben will, und diese können ja mithilfe von Eisenfeilspänen sehr leicht verbildlicht werden. Faradays Idee ist die einer von Element zu Element fortschreitenden dielektrischen oder diamagnetischen Spannung.

Maxwell findet die mathematische Formulierung von Faradays Vorstellung physisch existenter Kraftlinien, und nun können die beiden Theorien, die der Fernwirkung und die der Kraftlinien, direkt miteinander verglichen werden. Eine erstaunliche Übereinstimmung der Ergebnisse kommt heraus.

Wenn aber das Licht auf elektromagnetischen Schwingungen beruht, also eine Welle ist, so müssen sich die Strahlen elektrischer Kraft, wie Lichtstrahlen, nach den selben Gesetzen im Raum ausbreiten. Daher wird auf dem Gebiete der Elektrizität die Annahme unvermittelter in die Ferne wirkender Kräfte fallen gelassen und die Maxwellsche Theorie als der Stand der Technik betrachtet.

Was bedeutet das für die fallengelassene Webersche Theorie und was tritt an ihre Stelle? Die Grundanschauungen der Weberschen Elektrodynamik fußen auf zwei Annahmen: der unmittelbaren Fernwirkung und der atomistischen Konstitution der Materie. Nur die erste wird durch Maxwell erschüttert. Wenn nun eine Übertragung von Teilchen zu Teilchen in molekularen Distanzen angenommen wird, wird die Fernwirkung wieder mittelbar in die Theorie eingefügt, weil ja eine Übertragung auch von Molekül zu Molekül gedacht werden kann.

Weber selbst ist sich klar darüber, dass in seinem Gesetz nicht die letzte Ursache der elektrischen Erscheinungen liegt, und glaubt an die Existenz eines überall vorhandenen elektrischen Fluidums, das er vorsichtig mit dem ebenso alles umgebenden Äther gleichzusetzen wagt.

Der Mensch abseits der Wissenschaft

Weber wird als freundlich und gütig im Wesen beschrieben, als anspruchslose Erscheinung von seltener Größe und Reinheit im Charakter, von ausgesprochenem Gerechtigkeitssinn und großer Sorgfalt in allem, was er tut. Wenn er sich in einem Menschen irrt, dann deswegen, weil er niemandem ein Falsch zutraut. Seine Vorlesungen in Experimentalphysik lassen zwar spektakuläre Experimente vermissen, aber der Vortrag soll in seiner Kunst, die Zusammenhänge der Erscheinungen zu entwickeln, sehr aufschlussreich gewesen sein. Weber ist nicht nur der Wissenschaft zugetan, sondern auch der Poesie und der klassischen Musik, ist ein Freund philosophischer Betrachtungen und aufmerksamer Beobachter der Weltenläufte.

Er bleibt Zeit seines Lebens unverheiratet; seine Nichte Sophie führt ihm seit seiner Rückkehr nach Göttingen 1849 den Haushalt, und in seinem mitten in der Stadt gelegenen kleinen Häuschen mit dem großen Garten ist verwandtschaftlicherseits immer viel Leben, weil sein älterer Bruder samt Familie dort die Sommer verbringt, nachdem er sich von seiner Leipziger Lehrtätigkeit zurückgezogen hat. Jedoch wird es immer stiller um den alten Mann, der mit seinen 87 Jahren älter wird als die meisten seiner Zeitgenossen. Nach mehreren Tagen schlechten Wetters möchte er wieder die Sonne in seinem Garten genießen und stirbt dort am 23. Juni 1891 in seinem Lehnstuhl.


Das Gauß-Weber-Denkmal ist eines der wenigen Doppelstandbilder und zeigt beide annähernd gleich alt, obwohl der Altersunterschied 27b Jahre beträgt. Es wurde 1899 in Göttingen enthüllt.
Zeitgenössische Postkarte

Bald nach Webers Tod entsteht die Idee, in Göttingen ein gemeinsames Gauß-Weber-Denkmal zu errichten. Ein gedruckter Aufruf erscheint, wieder unterschrieben von Göttinger Professoren (diesmal nur sechs, nicht sieben, an erster Stelle unterzeichnet vom Mathematiker Felix Klein), und aus der ganzen Welt strömt Geld zusammen, um das Denkmal zu finanzieren. Der Bildhauer ist derselbe, der bereits das Wöhler-Denkmal in Göttingen errichtet hat. In der dazugehörigen Festschrift erscheinen Aufsätze von David Hilbert und Ernst Wiechert. Die feierliche Enthüllung findet im Juni 1899 statt.

Erstaunlicherweise erfolgt die Grazer Verbeugung vor Wilhelm Weber bereits zu seinen Lebzeiten: Das Gebäude der Alten Technik wird in den Jahren 1884 – 1888 errichtet. Damit ist Wilhelm Weber (+ 1891) neben Ernst Werner von Siemens (+ 1892), Henry Bessemer (+ 1898) und Robert Bunsen (+ 1899) eine der vier Personen, die bei der Einweihung der Alten Technik theoretisch ihr eigenes Taferl hätten enthüllen können.