Die Größen der Technik

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Luigi Galvani

Bologna - Sitz der ältesten europäischen Universität (seit 1088), Stadt der mittelalterlichen Geschlechtertürme, Spielball zwischen Mailand, Venedig und dem Papst. Ort der letzten Kaiserkrönung durch den Papst: 1530 vollzieht Clemens VII. (ein illegitimer Spross aus den Lenden des Giuliano I. de Medici) nach mehreren Jahren erbitterter Gegnerschaft und wenige Jahre nach der Plünderung Roms durch kaiserliche Truppen diese Handlung an Karl V. (das ist der Habsburger, in dessen Reich sprichwörtlich die Sonne niemals unterging, weil er auch der Herrscher über Spanien war und der Genueser Columbus erst eine Generation vorher für die spanische Krone Amerika entdeckt hat). Bereits zu dieser Zeit ist Bologna dem Kirchenstaat unterstellt und bleibt dies auch für die nächsten knapp 300 Jahre. In dieser Stadt kommt am 9. September 1737 Luigi Aloisio Galvani auf die Welt und verlässt sie nur für eine einzige Reise.


Über das Privatleben und die Familie des Luigi Aloisio Galvani ist kaum etwas bekannt. Man weiß nur, dass er in äußerster Abgeschiedenheit im Kreise der Familie lebt und ein ernster, schlichter Charakter ist, frei von Eitelkeit. Nach dem Studium der Medizin heiratet er Lucia, eine Tochter seines Lehrers Domenico Galeazzi, mit der er, wie es heißt, in großer Harmonie lebt und die selbst viel Zeit im Labor verbringt. 1765 wird er Professor für Medizin und Anatomie, später auch für Geburtshilfe, und hält diesen Sitz 33 Jahre, bis er aufgrund der politischen Situation gekündigt wird. Im Juni 1797 nämlich wird im Nachgang der französischen Revolution – quasi als Exportartikel – von Napoléon Bonaparte die Cisalpinische Republik ausgerufen, der der gläubige Christ Luigi Galvani den Bürgereid verweigert, woraufhin er seines Amtes enthoben wird. Daraufhin nimmt er bei seinem Bruder Giaccomo Zuflucht und stirbt am 4. Dezember 1798 in finanzieller Bedürftigkeit. Seine Rehabilitation und Wiedereinsetzung erreicht ihn wegen bürokratischer Langsamkeit erst im Grabe.


Tierelektrizität
1780 macht er seine zufällige Beobachtung, dass die Beine eines sezierten (also toten) Frosches sich bewegen, wenn er mit dem Skalpellstahl auf den blanken Nerv trifft, sofern daneben eine Elektrisiermaschine Funken sprüht. Hierbei handelt es sich um mechanische Apparaturen, mit denen durch Reibung in speziellen Materialien, beispielsweise Leder oder Wolle auf Glas, statische Elektrizität auftritt. Die Funkenlänge kann dutzende Zentimeter betragen. Galvani weiß noch nicht, was es ist, das er da beobachtet hat, aber nun beginnt er, die Sache systematisch zu verfolgen. Mehrere tausend Frösche dürften für diesen Forscherdrang ihr Leben gelassen haben.

Zunächst berührt er die Froschnerven mit leitenden und nichtleitenden Materialien und stellt dabei fest, dass nur die den elektrischen Strom leitenden Materialien dazu geeignet sind, den Froschschenkel zu bewegen. Was er macht – und was erst Heinrich Hertz ein Jahrhundert später erklären kann – ist, eine Antenne zu verwenden, die die Elektrizität aus dem Äther zieht und konzentriert dem Tierbein zuführt.

Galvani zieht jedoch einen anderen Schluss aus dieser Beobachtung: Er stellt die Theorie der Tierelektrizität auf, einer natürlichen Kraft, die dem Tier innewohnt ("un'elettricità intrinseca all'animale"), bestehend aus einer elektrischen Nervenflüssigkeit, die vom Gehirn ausgeschieden, durch die Nerven transportiert und in den Muskeln gespeichert wird. Galvani glaubt, dass er mit dieser Antenne (dem Messer) quasi die noch verbliebene Lebenskraft aus dem Tier ableiten kann, es entladen kann wie eine Batterie.


Das Froschschenkel-Experiment: Der Bimetallbogen verbindet das Rückgrad mit dem Muskelnerv, und das Bein zuckt. (Die Galvanischen Frösche und die Hand dürften nicht dem selben Maßstab zugehören.)
Galvani baut diesen Versuch aus und verlegt ihn auf den Balkon. Die dortige Versuchsanordnung soll Gewitterblitze zu Hilfe nehmen, denn er hat die Berichte von Benjamin Franklin gelesen, der im Jahre 1752 für elektrische Experimente einen Drachen aus Seide in den Gewitterhimmel steigen lässt, um die elektrische Ladung der Wolken durch abzuleiten. Die statische Elektrizität der Gewitterluft soll die Rolle der Elektrisiermaschine übernehmen. Nun bewegen sich die Schenkel aber bereits ganz ohne Gewitter, nämlich immer dann, wenn sie durch den Wind an das eiserne Balkongitter geweht werden, das aus einem anderen Metall gefertigt ist als die Kupferhaken, an denen die präparierten Froschbeine montiert sind. Galvani verlegt eine Verifizierung des Versuches wieder ins Labor, diesmal ohne Elektrifiziermaschine, und stellt fest, dass er ohne diese die Froschmuskeln zucken lassen kann, wenn er mit einem gebogenen Draht aus zweierlei Metall den freigelegten Rückenmarksnerv mit dem Schenkelmuskel des toten Frosches verbindet. 


Die Galvani – Volta – Kontroverse

Voltasäule. Die beiden Metalle sind gewöhnlich Kupfer und Zink, es kann aber auch Silber und Zinn sein. Die Elektrolytflüssigkeit ist auf Pappe oder Leder geträufelt und befindet sich zwischen den Metallen.
Die Theorie von der Tierelektrizität legt Galvani in seiner 1791 erschienenen Schrift De viribus electricitatis in motu musculari commentarius dar, was postwendend zu einer Kontroverse mit Alessandro Volta (1745 - 1827) in Pavia führt. Denn dieser stellt die Versuche mit dem Bimetallbogen nach und interpretiert die Ergebnisse anders: für ihn rührt die Elektrizität nicht aus dem Tier, sondern vom Unterschied der beiden Metalle des Bogens her, die er für den Motor der elektrostatischen Erscheinungen hält.

Galvani glaubt, dass ein elektrisches Ungleichgewicht zwischen dem Nerv und dem Muskel besteht, welches durch die Verbindung der beiden mit dem Metallbogen und die dadurch erfolgte Muskelkontraktion ausgeglichen wird. Für ihn ist der Bogen nur ein passiver Leiter. Für Volta hingegen wirkt der Bimetallbogen als Elektromotor: Der Bogenkontakt bewegt das elektrische Fluidum, welches die Muskelkontraktion bewirkt.

1794 weist Galvani nach, dass die Froschschenkelkontraktionen auch mit Monometallbügeln bewerkstelligt werden können, jedoch nicht ohne die Kontaktstellen zum Nerv und zum Muskel mit Salzwasser oder Blut zu befeuchten. Eine Zusammenschau all dieser Ergebnisse führt nun Volta 1800, kurz nach Galvanis Tod, zur Erfindung der Volta-Säule, einer Batterie als elektrochemischer Spannungsquelle, die aus einem Stapel abwechselnd geschichteter Scheiben von zweierlei Metallen besteht, die von Flüssigkeit umgeben sind. Diese Erfindung spielt auch im Leben mehrerer an der Fassade der TU Graz verewigter Naturwissenschaftler eine bedeutende Rolle, so beispielsweise von Jöns Jakob Berzelius, der 1802 seine medizinische Doktorarbeit über die Auswirkung der galvanischen Elektrizität der Voltazelle auf organische Körper verfasst.


Elektrizität als Show-Effekt

Elektrischer Kuss
Elektrisiermaschinen sind damals der letzte Schrei. Die erste Elektrisiermaschine hat der Magdeburger Bürgermeister Otto von Guericke bereits im Jahre 1663 erfunden und sie wenige Jahre später Gottfried Leibniz überlassen, der damit die ersten sichtbaren Funken erzeugt hat. Bereits um 1730 werden in wissenschaftlichen Wochenzeitschriften Experimente zur Elektrizität regelmäßig beschrieben, was sie allgemein bekannt macht und auch zu Kuriositäten wie dem elektrischen Kuss führt: Eine durch Reibungselektrizität aufgeladene Frau verpasst Herren einen kleinen Schlag, indem sie sie auf die Lippen küsst. Diese Spielerei war um 1740 sehr in Mode.

Die Wirkung der elektrischen Überschläge ist nur gering, weil durch Reibung nur vergleichsweise wenig Elektrizität aufgebaut werden kann. Mit der Erfindung der Leidener Flasche 1745/46 kann nun diese gespeichert und „in Serie geschaltet“ werden, um sie zu verstärken. Zahlreiche Versuche werden zur Belustigung von Volksmengen oder Herrschern angestellt, indem einer Menschenkette im Rahmen von elektrischen Demonstrationen ein sogenannter Kleistscher Stoß versetzt wird. Gewöhnlich werden Soldaten zu diesem Experiment herangezogen, die im Kreis stehend einander an den Händen halten müssen. Dieser Kreis wird dort unterbrochen, wo ein Mann den inneren und sein Nachbar den äußeren Teil einer Leidener Flasche angreifen muss. Das Ergebnis ist, dass alle Soldaten gleichzeitig einen Satz machen, weil sie einen elektrischen Schlag erleiden. Eine Zeit lang wird übrigens kolportiert, dass diese Stoßübertragung bei Impotenten aufhört, die Kette unterbrochen wird. Der Herzog von Artois macht daraufhin das Experiment mit den Kastraten der Pariser Oper und stellt fest, dass das nicht stimmt. „Auf diese Weise ist die Elektrisiermaschine um die Ehre gekommen, dereinst als ein nützliches Instrument in den Versammlungs-Sälen der (...) Ehegerichte zu prangen“, notiert Georg Christoph Lichtenberg hierzu.

Giovanni Aldini, ein Neffe von Luigi Galvani, reist bereits 1803 durch ganz Europa und gibt Vorstellungen, in denen er die Köpfe Geköpfter elektrifiziert. Zu diesem Zweck befeuchtet er die Ohren der Geköpften innen mit Salzwasser und verbindet sie mit zwei Drahtbögen, die er an die beiden Enden einer Voltasäule aus hundert Silber- und Zinkstücken anlegt. Das Spektakel der Grimassenbildung, besonders auch das unvorhersehbare Öffnen der Augen, gruselt die Zuschauer sehr.


Elektromedizinische Experimente in Glasgow 1818

Am 4. November 1818 machen die Mediziner Dr. Andrew Ure und Prof. James Jeffray im anatomischen Institut der Universität Glasgow Experimente mit dem Leichnam des soeben öffentlich gehenkten Mörders Matthew Clydesdale. Sie öffnen ihm das Rückgrad in Schädelhöhe und legen den Hüftnerv frei, verbinden die beiden Öffnungen mit Draht, an den sie mittels einer Batterie eine Spannung anlegen und so den gesamten Körper des Toten dazu bringen, konvulsivische Verkrampfungen und Zuckungen auszuführen. Ein weiteres Experiment gilt dem Gesicht, auf dem sich durch Muskelanspannungen verschiedene Gesichtsausdrücke zeigen, die so lebensecht sind, dass einige Herren das Kabinett verlassen müssen und einer ohnmächtig wird. Insgesamt wird über eine Stunde experimentiert. Ebenfalls 1818, allerdings bereits früher im Jahr, veröffentlicht Mary Shelley das Buch Frankenstein oder der moderne Prometheus, in dem sie die künstliche Entstehung von Leben durch elektrischen Strom beschreibt.


Der Name lebt weiter
Luigi Galvani ist, anders als seine Kollegen Ampere, Volt, Faraday, Watt, Siemens, Weber, Ohm, Newton, Tesla, Gauß, Coulomb und Franklin, bei der Verteilung von Einheitsnamen für physikalische Größen von Elektrizität und Magnetismus leer ausgegangen.

Aber die Bezeichnung Galvanismus für das Phänomen, dass Strom zwischen zwei verschiedenen Metallen unter Zuhilfenahme einer Flüssigkeit fließt, ist von Galvanis zeitweiligem Gegenspieler Alessandro Volta vorgeschlagen worden. Dafür wird eine Batterie, die ihre Energie aus dem eben beschriebenen Zusammenspiel von zweierlei Metall zieht, Voltasäule oder Voltazelle genannt.


Schematische Darstellung des Galvanisierens. Das rechte, zu veredelnde Teil ist mit dem Minuspol verbunden.
Und auch die Galvanotechnik ist nach ihm benannt: Unter „Galvanisieren“  wird im Wesentlichen das Beschichten eines Metalls mit einem anderen verstanden, wenn dies nicht durch mechanische Arbeit, sondern durch Elektrochemie geschieht. Das Verfahren ist einfach: In ein Elektrolysebad (im wesentlichen jede Flüssigkeit, die Ionen enthält, zB Salzwasser) wird eine Anode und eine Kathode eingeführt, wobei sich auf der Anode, dem Pluspol, das Veredelungsmetall befindet, und die Kathode, der Minuspol, durch das zu veredelnde Material, zumeist auch ein Metall, ersetzt wird. Dann lässt man elektrischen Strom fließen, und die Plus-Ionen werden vom Minuspol angezogen. Je länger dieses Verfahren dauert (mehrere Stunden), desto dicker wird die Beschichtung. Gängig ist dieses Verfahren einerseits in der dekorativen Galvanik wie beim Verchromen von Möbelbeschlägen oder dem Vergolden von Ziergegenständen, und andererseits bei der industriellen Galvanik als Korrosionsschutz, wie beispielsweise das Verchromen von Autostoßstangen. Auch die Beschichtung von CDs erfolgt nach diesem Prinzip. 
Was hat das alles mit Luigi Galvani zu tun? Dieser hat bei seinem Balkonversuch den ersten Stromkreis geschlossen, und zwar zwischen dem Kupferhaken, dem Froschschenkel und dem Eisengitter, anders gesprochen aus zwei Metallen und einem Elektrolyt, und dies ist auch das Verfahren. Er weiß zwar noch nicht, was da passiert, aber es reicht, um dieses Verfahren nach ihm zu benennen.