Die Größen der Technik

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Charles Darwin


Darwin im Alter von 31 Jahren, portraitiert von George Richmond.
Charles Robert Darwin wird am 12. Februar 1809 in eine begüterte und bekannte Arztfamilie in Shrewsbury hineingeboren. Wegen seiner Abneigung gegen die „Leichenschnipselei“ an der Fortsetzung der familiären Medizinertradition verhindert, möchte er sich in Cambridge der Theologie zuwenden, entscheidet sich dann aber, angeleitet durch seinen Lehrer und väterlichen Freund John Stevens Henslow, doch für die Naturwissenschaften.

Durch die Lektüre Humboldts für tropische Länder entflammt, ist er bestrebt, unter seinen Studienkollegen eine Gemeinschaftsreise nach den kanarischen Inseln zusammenzustellen, bekommt dann aber auf Empfehlung seines Lehrers Henslow die Gelegenheit, auf eigene Kosten an der fünfjährigen Forschungsfahrt der HMS Beagle unter Kapitän Robert FitzRoy teilzunehmen, der einen standesgemäßen und naturwissenschaftlich gebildeten Begleiter für diese Reise sucht, die der Vermessung der südlichen Hemisphäre dienen soll.

Henslow ist es auch, der Darwin als Reiselektüre den gerade erst erschienenen ersten Band von Charles Lyells „Principles of Geology“ empfiehlt, den er dann von Kapitän FitzRoy zum Reiseantritt geschenkt bekommt. Fünf Jahre hat der junge Darwin Zeit, Lyells Hauptwerk zu studieren, zu verifizieren und seine eigenen Theorien aufzustellen. Lyell ist der Ansicht, dass die erdgeschichtliche Entwicklung immer gleichförmig und ohne Unterbrechung geschieht und schon damals nur Kräfte gewirkt haben, die auch heute noch zu beobachten sind (Aktualismus / Gradualismus), wohingegen viele seiner Zeitgenossen der älteren Katastrophismus-Theorie anhängen, die von Zeiten erhöhter geologischer Aktivität wie verstärkter Vulkanismus oder Faltengebirgsbildung ausgeht. Auch die Sage von der Sintflut gehört hierher. In der heutigen Lehrmeinung bilden Aktualismus und Katastrophismus keine Gegensätze, sondern ergänzen einander.

Die Reise führt über die Capverdischen Inseln nach Salvador da Bahia in Brasilien, Montevideo und Feuerland wieder zurück nach Argentinien, dann durch die Magellanstraße bis nach Valparaiso und die Galapagosinseln, über Tahiti nach Neuseeland und Australien und über Kapstadt und St. Helena bis zur Insel Ascension. Nach einem Abstecher nochmal nach Salvador da Bahia – man will Fehlmessungen ausschließen – geht es dann endlich nach fast 5 Jahren Reise wieder zurück nach England. Der junge Mann wird die ganze Zeit hindurch so sehr von Seekrankheit niedergestreckt, dass er nie länger als eine Stunde am Stück arbeiten kann und sich dann wieder flach hinlegen muss. Körperlich geschwächt kehrt er von der Reise zurück und kommt nie mehr völlig zu Kräften.


Mit „I think“ übertitelt Darwin 1837 in seinem Notizbuch seine erste Skizze über die Entstehung der Arten durch Aufspaltung.
Dafür aber sammelt er auf zahlreichen, oft mehrere Monate dauernden Landexkursionen große Mengen geologischer, pflanzlicher und tierischer Proben und fertigt eine Vielzahl wissenschaftlicher Zeichnungen an: 368 Seiten zoologische und 1383 Seiten geologische Notizen in 12 Katalogen und zusätzlich 770 Seiten Reisetagebuch sind neben 1529 in Spiritus eingelegten Präparaten seine Ausbeute. Die Verarbeitung und Auswertung seines umfangreichen und vorwiegend zoologischen Materials dauert Jahre. Darwin veröffentlicht sein Reisetagebuch zunächst als dritten Band der von FitzRoy herausgegebenen Reisebeschreibung und einige Jahre später als selbständiges Werk: Voyage of a naturalist round the world, und die zoologischen Ergebnisse seiner Reise in fünf Bänden zwischen 1840 und 1848 unter dem Titel Zoology of the voyage of H. M. S. Beagle.

Darwins dem Zeitgeist geschuldeter Glaube an die Konstanz der Arten wird erstmals durch die Arbeiten von John Gould über die Vögel auf den Galapagos-Inseln erschüttert. Gould beschreibt die enge Artverwandtschaft aller später „Darwin-Finken“ genannten Vögel, bei denen über die einzelnen Inseln verteilt keine klare Unterscheidung zwischen Art und Varietät („Spielart“) getroffen werden kann. Das lässt in Darwin erstmals den Gedanken aufkeimen, dass die Zahl der Arten nicht bereits von Gott festgelegt wurde und unveränderlich ist, wie Carl von Linné noch lehrte (“Species tot sunt, quot diversas formas ab initio produxit (…) at sibi semper similes.”). Von nun an sammelt er gezielt Informationen zu diesem Thema und hält seine Überlegungen in Notizbüchern fest, den Notebooks on Transmutation.

Die künstliche Selektion bei der Zucht war ihm selbstverständlich bekannt.

Auf seiner Südamerikareise fällt dem Zoologen und Paläontologen Darwin die Ähnlichkeit und nahe Verwandtschaft heutiger Lebensformen zu versteinerten Resten am selben Ort auf. Er nimmt eine Abstammung, eine Entwicklung an und bekräftigt dies durch Forschungen an Tauben und Kulturpflanzen unter Einfluss von Züchtungen. Es wird ihm dabei allmählich klar, dass in der lebenden Natur ein Faktor tätig sein müsse, der, in analoger Weise wie der Einfluss der künstlichen Züchtung wirkend, aus den überall freiwillig entstehenden Varietäten der Tiere und Pflanzen diejenigen Formen hervorzüchtet, die den anderen überlegen sind und sie daher überleben.

Hilfreich für diese Überlegungen war das bereits 1798 veröffentlichte Werk Essay on the Principle of Population des Nationalökonomen Thomas Robert Malthus. Er legt dort dar, dass die Bevölkerung exponentiell wächst, die Nahrungsmittelproduktion jedoch nur linear. Unter den Individuen überleben die am besten oder am wahrscheinlichsten, die sich ihrer Umgebung und ihren Umweltbedingungen am besten anpassen.

Plakatives Beispiel hierfür sind Blüten, die in Form und Farbe ein Insektenweibchen nachahmen, so dass die Insektenmännchen angelockt werden und dadurch die Bestäubung vornehmen. Fremdbestäubung bringt nämlich widerstandsfähigere und kräftigere Pflanzen hervor als Selbstbestäubung.

Während Darwin versucht, das Problem der Inselbesiedelung zu lösen und in umfangreichen empirischen Versuchen an Tauben das Thema der Variation zu ergründen, beschäftigen sich auch andere Personen mit der Transmutation und der Entstehung der Arten. Das erste diesbezügliche Werk erscheint 1844 anonym und wird in der wissenschaftlichen Welt nicht ernstgenommen. Der Journalist Robert Chambers entwickelt in Vestiges of the Natural History of Creation erstmalig die Idee einer kosmischen und biologischen Evolution ohne Gotteshilfe von der Entstehung der Erde bis zum Auftreten des Menschen.

Darwin gerät in zeitliche Bedrängnis, als ihm der Naturforscher Alfred Russel Wallace das wegen seiner Entstehung auf der gleichnamigen Insel so genannte Ternate-Manuskript On the Tencency of Varieties to depart indefinitely from the Original Type mit der Bitte um Weiterleitung an Lyell zuschickt, das im wesentlichen seine, Darwins, Arbeiten und Gedanken antizipiert, ohne sie zu kennen. Schlussendlich wird die Arbeit von Wallace und die Arbeit von Darwin gemeinsam in der renommierten Londoner Linné-Gesellschaft vorgestellt. Da Darwin gesellschaftlich und wissenschaftlich eine deutlich höhere Reputation als Wallace besitzt, schätzt sich dieser glücklich, als „Mitentdecker“ der Evolutionstheorie genannt zu werden, und die beiden bleiben freundschaftlich verbunden.


Charles Darwin im Alter von 50 Jahren, als er die Entstehung der Arten veröffentlicht (1859)
Alle seine anderen wissenschaftlichen Untersuchungen über die Rankenfüßer, die geologische Tätigkeit der Regenwürmer, den Aufbau von Korallenriffen und den Polymorphismus einiger Pflanzen wirken rückblickend wie Vorbereitungsarbeiten zu seinem Hauptwerk. Dieses bringt Darwin im Alter von 50 Jahren heraus, und es ist eines der kontroversesten Bücher, die die Welt gesehen hat: On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or The Preservation of Favoured Races in the Struggle of Life (deutscher Titel: Über die Entstehung der Arten) erscheint als vollständig vorbestellte Auflage von 1250 Stück im November 1859, und postuliert fünf Theorien:
  • Die Evolution als Veränderlichkeit der Arten
  • die gemeinsame Abstammung aller Lebewesen
  • den Gradualismus als Lehre von der Veränderung in kleinsten Schritten
  • die Vermehrung der Arten und ihre Ausprägung in Populationen
  • die natürliche Auslese durch das Überleben der Stärksten als Mechanismus der Evolution
Das Buch wird bald in fast alle Sprachen übersetzt und hat glühende Anhänger ebenso wie erbitterte Gegner. Die Debatte wird auf mehreren Ebenen geführt, in der Bevölkerung ebenso wie in wissenschaftlichen Kreisen. Nicht jede Teilaussage des Buches wird gleich stark angefochten. Die Evolution per se wird in Wissenschaftskreisen bald völlig akzeptiert. Dadurch wird die Naturforschung und ihre Bewertung völlig umgekrempelt, und Darwin stellt sich in eine Reihe mit Newton und Kopernikus.


Diese berühmte Karikatur ist eine der vielen Reaktionen auf die Veröffentlichung von The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex 1871
Einen neuen Sturm löst das 1871 veröffentlichte zweibändige Werk The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex über die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl aus, das den bislang in den Abhandlungen außer Acht gelassenen Menschen in eine Reihe mit den Tieren stellt. Hier sind nun definitiv nicht nur biologische, sondern auch philosophische und theologische Themengebiete angesprochen, was eine Menge Fachleute auf den Plan ruft, die ihre jahrhundertealte Tradition der Teleologie oder das Glaubensgebäude überhaupt mit dem von Gott geschaffenen Menschen torpediert sehen. Die herausragende Stellung des Menschen in der Natur ist durch die Theorie des Menschen als Evolutionsprodukt wie alle anderen Spezies auch schmerzlich in Frage gestellt.

Dieses Buch wird noch zu Darwins Lebzeiten in mehrere Sprachen übersetzt, darunter Japanisch, Polnisch und Schwedisch.


Dies ist das wahrscheinlich letzte Bild von Charles Darwin, 1881
Im Alter von 30 Jahren heiratet er seine um ein Jahr ältere Cousine Emma Wedgwood, die Tochter des bekannten Porzellanfabrikanten, und hat mir ihr zehn Kinder - bei Geburt des letzten ist sie schon 48 Jahre alt. Charles Darwin wird als freundlicher, zurückgezogen lebender Mensch beschrieben, der seine Forschungen immer sehr gewissenhaft prüft. Seine wissenschaftliche Reputation und Verankerung in der Gesellschaft wird auch durch seine Mitgliedschaften bei der Royal Society, dem Athenaeum Club, der Royal Geographical Society und der Geological Society of London unterstrichen. Obwohl Charles Darwin Zeit seines Erwachsenenlebens immer kränklich ist, überlebt er zwei seiner Kinder und stirbt hochverehrt mit 73 Jahren. Er wird zu den Füßen von Newtons Denkmal in der Westminster Abbey beerdigt.